Vladimirs Tauma

Es war einmal ein totalitäres Drecks-System. Sein Symbol war ein roter Stern mit fünf Zacken. Diese fünf Zacken symbolisierten seinen Anspruch, über alle fünf Erdteile zu herrschen.
Das hat nicht ganz geklappt, aber auch so war das System ganz schön einflussreich. In seinen besten Zeiten überspannte es das größte Landreich der bisherigen Menschheitsgeschichte. Es dehnte sich über zwölf Zeitzonen und zwei Kontinente.

Ein so großes Reich ist mit anständigen Mitteln natürlich vollkommen unregierbar. Jedenfalls wenn man „Regieren“ mit „Administration“ übersetzt, mit „Verwaltung“, mit „Verantwortung“, „Versorgung“ oder ähnlichem Spießerkram. Man kann es lediglich in Schach halten und ausplündern. Das gelingt mit Terror, denn Demokratie ist bekanntlich mühsam. Und obwohl die Organisation dieses Terrors dem System allweil gut gelang, nahmen seine Machthaber vorsichtshalber noch eine verbrämende Gesinnung für sich in Anspruch, die einer Religion nicht unähnlich war. Es handelte sich um eine wirre politische Theorie aus Deutschland, die schon auf dem Papier nicht funktioniert. Man muss einfach an sie glauben, betäubt von der Ausrede, sie würde alle Menschen lieben und gleich behandeln. Aber es war eben keine Religion. Denn während der oberste Nutznießer einer Religion irgendwo auf einer Wolke sitzt, im Weltraum oder im Jenseits oder in sonst einer Phantasiewelt und sich auf Erden von untereinander zerstrittenem Bodenpersonal vertreten lassen und von Kriegern verteidigen lassen muss, hatte der Kommunismus den Vorteil eines großen Vorsitzenden aus Fleisch und Blut.
Wer es schaffte, diesen Job zu bekommen, der hatte es sozusagen geschafft.

Nach 74 Jahren und 49 Tagen brach das Drecks-System zusammen, nachdem es unermessliches Leid über Millionen Menschen gebracht hatte – auch und ganz besonders über die Deppen, die noch immer daran glaubten, aber nicht nur über diese. Inzwischen hatte es sich als Schule der Diktatoren erwiesen, deren menschliche Metastasen viele weitere Landstriche befielen und bis heute beherrschen.

Das Reich wurde nicht etwa in einer Schlacht besiegt. Es wurde auch nicht von der Vernunft hinweggefegt. Gewisse Kreise und Individuen – behaglich in Demokratien zu Hause, die ihnen auch diese Verirrung anstelle einer politischen Meinung erlauben – geben bis heute vor, an den vom ihm propagierten Schwachsinn zu glauben. Keine Revolution hat das System beseitigt (um Himmels Willen, nicht noch eine!), keine Naturkatastrophe, keine Göttliche Fügung.
Nein, das besagte Imperium war an sich selbst erstickt. An seiner miserablen Organisation. An der Unfähigkeit zu regieren. Am Kommunismus.
Es war implodiert, wie die Historiker es gnädig ausdrückten.
Es war an den Rüstungsausgaben verreckt, die es aufbringen musste, um die immer neuen Feinde zu bedrohen und zu bekämpfen, die es erfinden oder tatsächlich provozieren musste, um seinen Untertanen die Notwendigkeit seines Handelns erklären zu können. Und außerdem galt es ja auch, den Kommunismus zu verteidigen, diese wohltätige Idee. Und sein eigenes Volk zu belügen, zu bedrohen, zu bespitzeln und zu bestrafen.
Das Reich verendete daran, dass es jeglichen Fortschritt verteufelte und seine Mangelwirtschaft verklärte. Es ist einfach pleite gegangen. In jeder Hinsicht.

Als an einem verschneiten Mittwoch zu Weihnachten 1991 zwei Gardisten die rote Fahne mit Hammer und Sichel vom Kreml holten, trauerten nur wenige diesem Staatengebilde nach, das sein Versprechen von der Gleichheit auf die einzig mögliche Art eingelöst hatte: es fühlten sich zuletzt alle von ihm betrogen, die Tyrannen wie die Geknechteten.

Mindestens zwei Menschen haben dieses Ereignis mit großen Emotionen erlebt.
Ich habe vor Glück geweint – buchstäblich und nur dies eine Mal wegen eines historischen Ereignisses.
Und der kleine Geheimdienstler Vladimir, der sich schon darauf gefreut hatte, eines Tages Großer Vorsitzender dieser überdehnten Konstruktion zu werden, erlebte sein Ende als „die größte geopolitische Katstrophe des 20. Jahrhunderts“ – und somit auch seines eigenen Lebens.
Er war sehr böse auf „den Feind“ – also auf das „andere“ System, das nicht zusammengebrochen war.
Er schwor sich, sein Imperium irgendwann wieder aufzurichten, an Ort und Stelle.
Er würde es eines Tages beherrschen wie ein Großer Vorsitzender, und dann würde er es weiter und weiter ausdehnen.
Er würde es viel schlauer anstellen als die dämlichen Betonköpfe, die das alte hatten verkommen lassen.
Er würde sein Volk in noch größerer politischer Blödigkeit niederhalten als es seine Vorgänger versucht und  vermocht hatten.
Er würde zu Konferenzen gehen, besser lügen, charmanter sein, sogar von Kapitalismus würde er was verstehen.
Er würde nicht einmal mehr eine Ausrede wie den Kommunismus oder irgendeine Religion brauchen! O nein! Diesmal ginge es nur noch um ihn.
Alles, was er am Ende brauchen würde, wäre eine goldene Klobürste.
Er würde es allen zeigen!
O ja, das würde er.

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