Ärgern mit Georges Brassens

Sich mit dem verehrten französischen Bürgerschreck und Nationaldichter Georges Brassens gemeinsam aufzuregen, ist ja völlig in Ordnung – solange man sich nicht über ihn aufregen muss. Gisbert Haefs (der als Übersetzer für Conan Doyle, Ambrose Bierce, Rudyard Kipling und Jorge Luis Borges zuständig ist) hat das gewissermaßen zuwege gebracht – auch wenn es in erster Linie er selbst ist, der meinen Grimm erregt. Sein Quellenwerk „Georges Brassens – Die Chansons“ enthält nicht nur sämtliche einschlägigen Texte des Meisters, sondern auch eine selbstgefertigte Übersetzung jedes einzelnen. Nun muss sich übersetze Lyrik nicht zwingend reimen, aber bei Liedübersetzungen gehört Singbarkeit gewissermaßen zum Service. Sie ist hier sogar die vornehmste Pflicht des Bearbeiters. Dass Übersetzungen – zumal von so spitzfindigen Vorlagen, die überdies mit Humor gespickt sind – schon ohne diese Zusatzdisziplin schwer genug sind, leuchtet mir ein. Dennoch hätte ein entsprechender Warnhinweis der Ethik eines Georges Brassens besser entsprochen als die im Gegenteil sogar vorgenommene Irreführung: auf dem Buchumschlag wird doch tatsächlich von „Nachdichtungen“ gesprochen. Auch die scheinheilige Sottise „Seine Texte galten immer als nicht übersetzbar“ weist in diese Richtung. Meine Empfehlung: ein Button auf dem Cover mit der Aufschrift „Interlinear übertragen“ (das klingt intellektuell und sexy, obwohl es einfach korrekt ist).
Vermutlich hätte ich mir das Buch trotzdem gekauft, aber eben ohne mich verschaukelt fühlen zu müssen.

Auch die mir zugänglichen Rezensionen versäumten diese Richtigstellung und ergingen sich stattdessen in Nacherzählungen von Brassens‘ Leben auf der Grundlage des Vorwortes, das Haefs seiner Herkulesaufgabe vorangestellt hat. Dieses Vorwort ist übrigens famos. („In der englischen Musikszene hatte GB in den 70er Jahren einige Erfolge, konnte sich aber nicht dauerhaft durchsetzen; in den 80ern fanden sich seine Platten in Londoner Läden nicht einmal mehr unter ‚Folk Music‘, sondern unter ‚Easy Listening‘.“) Diese Einführung ist so flott und erhellend, das man sich gewünscht hätte, der Autor hätte die übrigen ungefähr gleichrangigen Meister und Interpretinnen des Metiers, die er darin erwähnt, anschließend in ebensolche Kurzportraits gegossen. Das hätte den Rahmen gesprengt, klar. Aber vielleicht ist Gisbert Haefs ja auf den Geschmack gekommen. Wir derart genasführten Käufer seines Buchs hätten einen solchen Nachfolgeband verdient – als versöhnliches Zeichen des guten Willens.

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* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2021/10/22/19154/

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