Der Satzbaustein „galt eigentlich als un-“ motzt jede Bagatelle zu einer glitzernden Entstehungsgeschichte auf. („Der Herr der Ringe“ galt eigentlich als unverfilmbar! / „Das Phantom der Oper“ galt eigentlich als unsingbar!“ …)
So sprach man auch über die 650 DIN-A-5-Notizblöcke von Astrid Lindgren. Ihr Nachlass füllt im Keller der Königlichen Bibliothek zu Stockholm 160 Regalmeter, stellt das größte Privatarchiv dar, dass je ein schwedischer Mensch hinterlassen hat und wurde 2005 ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen. Die besagten Blöcke wurden als unlesbar eingestuft, denn die gelernte Sekretärin Astrid Lindgren hatte ihre späteren Bestseller angeblich in einem Spezial-Steno verfasst. Das ist nicht abwegig: sie wollte nicht, dass irgendjemand einen Blick in ihre Arbeit werfen konnte, ehe sie selbst sie als abgeschlossen betrachtete. Lindgren ließ – auch das Anekdotische soll hier seinen Platz haben – kein Lektorat daran rühren, und selbst die Mitarbeiter des Verlags, in dem sie die Kinderbuch-Sparte betreute, sahen ihre Bücher erst, wenn sie gedruckt waren (ausgenommen natürlich die Korrektoren, Schriftsetzer, Seitenmonteure, Plattenkopisten und Drucker des Hauses und wer nicht sonst noch).
Unzweifelhaft war Astrid Lindgren mit ihrer Neigung zum Verfolgungswahn eine sehr moderne Schriftstellerin. Eventuell hätte sie sich an unserer herzlosen Welt der Hacker und Internet-Piraten die dritten Zähne ausgebissen. Denen wäre es sicher gelungen, ihre Notizbücher zu entziffern und zu leaken.
Knapp 20 Jahre nach dem Tod der Autorin befasste sich nun eine Literaturwissenschaftlerin mit dieser Aufgabe. Malin Nauwerk erklärte, es interessiere sie, wie diese Texte entstanden seien. Nachdem sie die Unlesbarkeit des Materials noch einmal betont hatte, begann sie mit der Lektüre.
Sie fand heraus, dass es zwischen den Typoskripten und den Druckfassungen kaum Unterschiede gibt. Der Schreibprozess muss sich also bereits in den Stenoblöcken abgespielt haben. Er bewirkte die geänderte Haarfarbe bei Jonathan Löwenherz, eine „Ständige Entwicklung“ der Figuren oder ähnlich Erwartbares.
Das Ergebnis ist so wenig aufregend, dass es getrost direkt der Sprachpolizei übergeben werden kann, die „Negerkönige“ und andere Rabulismen flugs in eine gepflegte Helikoptermuttisprache überführt.
Dann schließt sich der Kreis und alle sind glücklich – bis zum Erlass der nächsten Sprechverbote.
Wie schön, dass Astrid Lindgren auch das nicht mehr erleben muss!
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