Noch ’ne Zeitenwende

betr.: ChatGPT

Ich finde die Szenen wenig verstörend, wenn in Science-Fiction-Abenteuern die künstliche Intelligenz ein eigenes Bewusstsein entwickelt und sich in Opposition zu der Menschheit begibt, die so leichtsinnig war, sie so weit zu entwickeln. Ich bleibe eher gelassen, wenn die gesellschaftliche, die politische Dimension von Androiden mit Kunstgehirnen ausgemalt wird. Warum eigentlich? Vielleicht weil ich der Ansicht bin, in einem Alter zu sein, in dem ich der hier vorhergesagten Epoche rechtzeitig wegsterben werde. Diese „Terminator“-Zustände werden sicher noch ein Weilchen brauchen.
Doch schon jetzt, lange vor der ersten schlecht besuchten Demo intelligenter Roboter gegen die Ausbeutung durch den Menschen, sind wir in eine Situation geraten („in einer Welt aufgewacht“), in der die Maschinen uns Menschen vor sich hertreiben. Zumindest uns Kopf-Arbeiter, die wir „content“ erschaffen, geistiges Eigentum. Wenn ich mir die Abbildungen in Artikeln über ChatGPT so ansehe, sind für Grafiker / Zeichner / Illustratoren bereits düstere Zeiten angebrochen. Die Beispiele sehen einfach fabelhaft aus. Als ich Ralf König fragte, ob ich ihn für ein Comicmagazin zu diesem Thema interviewen könnte, holte ich mir diese Absage: „Ich verabscheue sowas so sehr, dass ich mich weigere, mir Gedanken dazu zu machen. Neulich wollte mir einer erzählen, dass ich das Finale eines Comics, den ich gerade auf dem Tisch und noch keine Idee dazu habe, von einem Programm ‚erledigen‘ lassen kann. Ich glaub das nicht, aber wenn es irgendwann tatsächlich so kommt, kann man sich ja gleich selbst in die Tonne treten. Wenn andere Leute mit und aus meinen Zeichnungen machen können, was sie wollen, krieg ich Pickel!“ Ach stimmt ja:  der Computer zeichnet gar nicht selbst, sondern kombiniert kleine und allerkleinste von Künstlerhand geschaffene Versatzstücke.

Als Autor sollte mir noch eine kurze  Galgenfrist bleiben, wenn der aktuelle „Spiegel“ in seinem Leitartikel* nicht danebenliegt. Zumal er erklärt: „Eine Maschine ist eine Maschine ist eine Maschine – und es ist immer der Mensch, der entscheidet, ob daraus etwas Großartiges wird oder etwas Furchtbares. Deshalb wird der Mensch durch die Fortschritte der KI keineswegs machtlos oder unwichtig, sondern, im Gegenteil, immer mächtiger und wichtiger.“ … Und falls uns die Apparatur irgendwann doch nicht mehr geheuer ist? „Wenn man sie ausschaltet, ist sie einfach weg.“

Hier irrt der Autor aber gründlich (wie jeder bestätigen wird, in dessen sozialem Umfeld es Menschen mit ausschaltbaren Mobiltelefonen gibt). Obwohl er in einem anderen Punkt nicht unrecht hat: es ist wenigstens nicht davon auszugehen, dass Computerprogramme oder Apps Fantasie haben werden. Aber die werden sie auch nicht brauchen, um auch mir die Arbeit wegzunehmen. Es genügt, dass ein Computer einen Text schreibt bzw. zusammenbaut, dem mein menschlicher (!) Kunde nicht mehr anmerkt, dass er ohne Fantasie geschrieben wurde. – Nein! Es ist sogar noch schlimmer: schon seit geraumer Zeit habe ich den Eindruck, es wäre den meisten meiner Kunden sogar lieber, wenn sie beim Lesen nicht mit den Auswüchsen einer Fantasie behelligt würden. Was auch immer der Genosse Roboter ausspuckt, es wird der Kundschaft wie gerufen kommen. Es wird außerdem schnell gehen, und es wird nichts kosten.

Liebe Zeichner, wir sehen uns im Club!
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* Ausgabe 9 / 2023, Seite 6

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