Hipster – Was ist das? Was war das?

Ein Hipster zu sein, beruht auf Aneignung (ein Zeitgeistbegriff, von dem ich inständig hoffe, dass man ihn späteren Generationen einmal wird erklären müssen). Das zeigt sich bereits am Bekleidungsstil: an den Holzfällerhemden, deren Karos ein klein wenig enger sind als beim kanadischen Vorbild, deren Stoff etwas feiner ist, deren Aroma eher Perwoll als Baumharz. Noch wichtiger ist dem Hipster sein Bart, und auch der ist letztlich eine Imitation. Er will an die Bärte ganz harter Kerle gemahnen (Schienenarbeiter, Bergleute, Seemänner oder wiederum Holzfäller), wird aber so penibel getrimmt und eingehegt, dass er vielfach wirkt wie angeklebt. Seine Pflege erfolgt wenn möglich in den Schaufenstern eigens dafür eingerichteter „Barbier“-Läden, die in hippen Stadtvierteln gerade mächtig Konjunktur haben.
Der Schriftsteller Clemens J. Setz erklärt uns*, was das Wort um die Zeit seiner Entstehung einmal bedeutet hat. Dabei scheint auch das deutlich auf, was sich seit damals
nicht geändert hat. Das Prinzip der „Aneignung“ sowie die Abgrenzung von „Square“ (= Quadratspießer) sind seit jeher bestimmende Faktoren des Hipstertums.

Auch heute bezeichnet man bestimmte Menschen mit diesem Wort, aber die Bedeutung hat sich so stark gewandelt, dass man vielleicht an den alten Sinn des Wortes erinnern muss. Mitte der 1950er Jahre bezeichnete es einen weißen (meist männlichen) Menschen, der seine Gesten, seinen Lebensrhythmus und seine Ansichten an dem orientierte, war er aus dem Verhalten von Schwarzen (vor allem schwarzen Jazzmusikern wie Dizzie Gillespie oder Charlie Parker) als dessen Essenz herauszulesen meinte. Sprechweise, Wortneuschöpfungen, Barttracht, Spielarten der Promiskuität, all das versuchte er zu „imitieren“, auch wenn vieles davon seiner Fantasie entsprang. Die Hipster verfügten über einen eigenen Jargon, der Coolness und Durchrhythmisiertheit signalisieren sollte. Sie waren „hip“, das heißt eingeweiht in den Schwung des Moments, in das Einverständnis-ohne-echtes-Verstehen, in eine oberflächliche Übereinkunft mit anderen. An die Stelle von „to like“ trat das viel vagere Konzept von „to dig“. Ihr Gegenbild war der „square“, der brave, mit seiner Arbeit verschmolzene Bürger. Die Hipster pflegten eine bohemienartige, von Party zu Party torkelnde Existenz, reich an lebenskünstlerischer Improvisation und neuartiger Toleranz gegenüber allen Bevölkerungsgruppen, aber ebenso reich an Peinlichkeit, Mangel an politischer Einsicht und ganz dümmlichen Momenten von Blackface.
In seinem 1956 veröffentlichten Essay mit dem heute etwas misstönenden Titel „The White Negro“ analysiert Norman Mailer den Hipster sehr klug als Phänomen weißen Imitationswahns. Der Hipster sei, so Mailer, „a philosophical psychopath“. Ihm gehe es allein um die Erfüllung von Lustbedürfnissen, aber er kleide es in ein Gewand von Sozialrevolution und Aufklärung. Der Hipster macht sich nicht die Mühe, den Buddhismus zu studieren, sondern deutet einfach mit dem Zeigefinger auf eine Buddhastatue und sagt: „Yeah, I dig“ – und geht anschließend mit der jungen Buddhastatuenbesitzerin, die genausowenig vom Buddhismus versteht wie er, ins Bett, worauf beide am nächsten Morgen tatsächlich ein wenig vom Buddhismus verstanden zu haben glauben – und völlig verwirrt auseinandergehen. So ungefähr muss man sich, indem man für „Buddhismus“ einmal „Kommunismus“, „Jazz“ oder „Gleichberechtigung“ einsetzt, den Weltzugang der historischen Hipster vorstellen.

Der (weiße) Kater Tom wandelt einmal mehr auf den Spuren von Cab Calloway im „Tom & Jerry“-Cartoon „The Zoot Cat“ (1944)

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* Im Nachwort zum Mini-Hardcover der Kurzgeschichte „Sterblichkeit und Erbarmen in Wien“ von Thomas Pynchon, Jung und Jung 2022

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