Stephen King und Patricia Highsmith erklären den Deus ex machina

Der Ausdruck „Deus ex machina“ (griechisch für „Gott aus der Maschine“) war für lange Zeit nur den Freunden des Theaters und den Lesern filmischer Sekundärliteratur bekannt. Um die Jahrtausendwende tauchte er (falsch ausgesprochen) in irgendeiner beliebten Serie auf, gelangte darüber in die sozialen Medien und machte eine kurzlebige Karriere als vielgenutzter Wischiwaschi-Begriff.
Ursprünglich und recht eigentlich ist damit ein plötzliches, unmotiviert eintretendes (göttliches) Ereignis gemeint, welches in der Spielhandlung  das Blatt wendet. Oder eben eine Person, die solches bewirkt. Man spricht dann auch von der „Nemesis“, dem „Fünften im Spiel“ oder von einem „Katalysator des Wandels“.
In seinem Roman „Revival“ erklärt Stephen King uns zuerst, was damit ausdrücklich nicht gemeint ist: „In wenigstens einer Hinsicht ist unser Leben wirklich wie ein Film. Die Hauptdarsteller sind Familienmitglieder und Freunde, die Nebenfiguren Nachbarn, Kollegen, Lehrer und Bekannte. Dazu kommen die Kleindarsteller: die junge Frau mit dem hübschen Lächeln, die im Supermarkt an der Kasse sitzt, der freundliche Barkeeper in der Stammkneipe, die Typen, mit denen man dreimal pro Woche im Fitnesscenter trainiert. Und es gibt tausende Statisten – jene Leute, die durch jedes Leben strömen wie Wasser durch ein Sieb, weil man sie ein einziges Mal sieht und dann nie wieder. Der Teenager, der bei Barnes & Noble vor den Graphic Novels steht, weshalb man sich an ihm vorbeischieben muss (mit einem gemurmelten „‘tschuldigung“), um zu den Zeitschriften zu gelangen. Die Frau im Auto nebenan, die vor der roten Ampel ihren Lippenstift nachzieht. Die Mutter, die ihrer Kleinen Eiscreme vom Gesicht wischt, irgendwo in einem Lokal am Straßenrand, wo man zu einem kurzen Imbiss eingekehrt ist. Der Verkäufer, dem man bei einem Baseballspiel einen Beutel Erdnüsse abgekauft hat.
Aber manchmal gerät eine Person in unser Leben, die in keine dieser Kategorien passt. Sie ist der Joker, der über die Jahre hinweg in unregelmäßigen Abständen aus dem Kartenstapel auftaucht, oft an einem entscheidenden Wendepunkt.“
Kings ältere Kollegin Patricia Highsmith hat ein Beispiel zu bieten, in dem der größtmögliche Auftritt – besagter „Gott aus der Maschine“ – und der Komparse, der niemals zurückkehrt, zu einer Person verschmelzen.
In ihren Tagebüchern schildert sie die flüchtige Begegnung – es war kaum eine solche – mit dem Mann, der sie 1952 zu ihrer wichtigsten und langlebigsten Schöpfung inspirierte. Auf einer Reise nach Positano an der Amalfiküste fing alles an: „Ich trat eines Morgens auf die Hotelterrasse und sah in der Ferne einen jungen Mann in Shorts und Sandalen mit einem Handtuch über der Schulter am Strand entlanggehen. Er wirkte nachdenklich, rätselhaft, faszinierend. Ich sah diesen Mann niemals wieder. Er war die Vorlage für Tom Ripley.“

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