Zu spät! Nichts drin!

betr.: 103. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki / aktuelle Bücher über eine selbstbewusste Ost-Identität

Was sich gerade hinsichtlich des Themas „(mein) Leben in der DDR“ in unserer Literaturlandschaft abspielt und wie heftig es im gesellschaftlichen Diskurs seinen Widerhall findet, hätte Marcel Reich-Ranicki unbedingt gefallen. Er hat in seinem „Literarischen Quartett“ häufig darüber geklagt, dass Schriftsteller jenseits ihrer hauptamtlichen Tätigkeit so wenig publizieren und dass Literatur längst nicht mehr zu solcher Anteilnahme bzw. Aufregung taugt wie in den seligen Tagen der Gruppe 47. In einer Sendung vom Anfang der 90er Jahre sinnierte er enttäuscht darüber, dass die Romane (es ging ihm natürlich zuallererst um diese Form) aus dem Innenleben der DDR noch immer auf sich warten ließen. Er sei doch so gespannt gewesen, was alles in den Schriftsteller-Schubladen geschmort und nur darauf gewartet habe, endlich unzensiert veröffentlicht werden zu können. Aber da habe er sich wohl geirrt. Nichts sei drin in den Schubladen.
Auch seine Meinung zu der Verherrlichung, die nun in mehreren Neuerscheinungen mit dem Leben in der kuscheligen „zweiten deutschen Diktatur“ getrieben wird, kann man sich aus dem vorliegenden Material gut ableiten. Aber wie das geklungen hätte, wenn der alte Entertainer (er mochte es, so bezeichnet zu werden!) sich noch mal so richtig in die Debatte geworfen hätte, das wird leider ein Geheimnis bleiben. Obwohl selbst niemals Bürger der DDR, hätte er sich mit diesem Argument eine gewisse Kompetenz und Zeitzeugenschaft nicht absprechen lassen. Mann, das hätte ordentlich gerummst – und sogar mit Niveau! Wie schade, die gegenwärtige Debatte ohne diese Stimme verfolgen zu müssen. 

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