Zum Tode von John Romita

Immer mit einem Fuß auf irdischem Boden

Am Tag als John Romita starb, saß ich mit einem Comic-Sammlerfreund zusammen, und wir dachten gemeinsam an ihn. Das ist kein Zufall im eigentlichen Sinne, denn ich habe in den letzten 50 Jahren viel an John Romita gedacht. Mein erstes Marvel-Heft war ein „Die Spinne“-Zweiteiler, und Romitas Name war der erste Marvel-Künstler, den ich mir gemerkt habe. Ich begriff erst während der Lektüre, dass es klüger gewesen wäre, die älteren Ausgaben vorher zu lesen. Bei „Fix und Foxi“ war die Reihenfolge ja egal …

John Romita hatte die Fähigkeit, besonders schöne Menschen zu zeichnen, ohne dass sich das distanzierend oder sonstwie störend auswirkte. Die übermenschliche Energie, die jedes Panel von Jack Kirby so wirkungsvoll machte, oder der Sex-Appeal der Bilder von John Buscema waren buchstäblich nicht zu übersehen. Romitas Effekte  fielen nicht auf und alles wirkte alles so, als würde es tatsächlich so aussehen.
In der Medientheorie ist häufig davon die Rede, der Konsument solle vom Produkt abgeholt werden. Das ist etwas, was die Filme des Marvel Cinematic Universe bei mir allenfalls in den ersten Minuten schaffen – ich glaube, sie versuchen es nicht einmal. Das New York des Peter Parker erschien mir immer als ein realer, theoretisch erreichbarer Ort, der mir als Umsteigebahnhof in die Welt der Superhelden dienen könnte. Romitas Zeichnungen trösteten so mein vom bedrückenden Mief des saarländischen Landlebens geknechtetes Unter- und Selbstbewusstsein mit einer luftigen Perspektive. Ich vermute, mein Einstieg in Jack Kirbys halb-kosmische Welten gelang mir auch deshalb so glücklich und fließend, weil mir Spider-Man zuvor New York gezeigt hatte.
Wie alle halbwüchsigen Heftchenleser habe ich mir damals gewünscht, es würde eines Tages bewegte Bilder von meinen Lieblingen geben. (Den ersten tapsigen Versuch mit „Spider-Man, der Spinnenmensch“ von 1977 wollen wir mal höflich beiseitelassen.) Inzwischen ist technisch „alles möglich“, und die Macher der Filme haben sogar begriffen, dass sie sich nicht unnötig von den Vorlagen entfernen sollten. (An dieser Stelle verdrängen wir bitte den „Hulk“-Film von Ang Lee…) Doch sie beeilen sich in jedem ihrer Abenteuer, möglichst schnell von unserer Welt wegzukommen und schicken ihre Helden in überladene, komplett ortlose Kulissen. Trostlose Bildschirmschoner klaffen, wo sich in den Comics wirklich Portale in andere Welten geöffnet haben. Es würde den Kollegen der Animationsabteilung wirklich helfen, sich die Comics von Jack Kirby einmal anzuschauen …*
Außerdem müssen diese Verfilmungen zwangläufig auf Zeichnungen wie die von John Romita verzichten.

John Romita wechselte kurz vor der Einstellung unserer Heftreihe „Die Spinne“ auf einen Redaktionsposten, und seither lag seine zeichnerische Begabung brach, während der wenig subtile Ross Andru „Spider-Man“ übernahm. Er wurde später von John Romita jr. abgelöst, und auch das war kein Vergnügen, wenn man mit den Comics des Alten aufgewachsen war. Romita jr. hat sich im Laufe der Zeit prächtig entwickelt, aber er hat über die Abwesenheit von „Jazzy Johnny“ nie hinwegtrösten können.

Unglaublich, aber wahr: sogar das comicfremde Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat sich einen winzigen Nachruf auf John Romita abgepresst. Darin wird der Zeichner für seine Innovation des Spider-Man-Charakters gelobt: „Er gab der Comicfigur ein muskulöseres, reiferes Aussehen und mit Mary Jane Watson ein Topmodel als Freundin“.

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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2017/01/14/der-raum-ausstatter/

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