Orwell spukt beim ORF

betr.: 120. Geburtstag von George Orwell

Der ORF hat auf seinem famosen Kulturkanal Ö1 in der vergangenen Woche, die dem o. g. Jahrestag voranging, seine winzige werktägliche Rubrik „Gedanken für den Tag“ einer Serie gewidmet, in der die Medienethikerin und Theologin Claudia Paganini über George Orwell nachdenkt. Aufgrund eines technischen Fehlers lässt sich diese Rubrik nicht nachhören, was normalerweise mit dem gesamten Programm von Ö1 sieben Tage lang und somit noch dieses Wochenende möglich ist. Das ist nicht ohne Ironie, hat doch Orwell in seiner wichtigsten Dystopie „1984“ auch den Medien den gebührenden Platz eingeräumt.
Eine Empfehlung, die Reihe in einem Rutsch nachzuhören, kann ich daher leider nicht aussprechen, dennoch sei Ö1 einmal mehr leidenschaftlich gepriesen.

Und das haben wir verpasst:

1. George Orwell – Vom Beobachter zum Aktivisten

George Orwell wurde am 25. Juni 1903 als Eric Arthur Blair in der britisch-indischen Provinz Bengalen geboren. Nach dem Besuch von Eliteschulen und einem Studium in England trat Orwell 1922 in den Dienst der „Britischen Polizei“ in Burma ein. Dabei begegnete Orwell der Kolonialherrschaft im Laufe der Zeit zunehmend mit Ablehnung.

Ein besonders erschütterndes Erlebnis war für ihn eine Hinrichtung, deren Zeuge er wurde und gegen die er nichts unternehmen konnte. Er hat den Moment später noch oft beschrieben: „Als Augenblick, in dem du weißt, dass einem Menschen, der lebt und der leben will, jetzt dieses Leben genommen wird und dass es kein Zurück mehr gibt“. Diese Szene wird von seinen Biografen gerne als Schlüsselszene für seinen lebenslangen Kampf gegen Despotie und Tyrannei gesehen. Eine wichtige – ebenso negative – Rolle spielte aber sicherlich die körperliche Gewalt, die Orwell als Kind im Internat erleben musste.

Sein Schreiben geprägt hat darüber hinaus der Spanische Bürgerkrieg. Ende 1936 kämpfte Orwell für die Miliz der Partei unabhängiger Arbeiter. Nach anfänglicher Begeisterung erkannte er mehr und mehr das destruktive Gesicht der sozialistischen Bewegung stalinistischer Prägung. Schließlich hat sich Orwell in der Zeit des Zweiten Weltkriegs als Reporter intensiv mit der Propaganda der Kriegsparteien auseinandergesetzt.

Man könnte also sagen, Orwell war lange Zeit und zum Teil in extremen Situationen in der Position eines Beobachters, bis irgendwann der Punkt erreicht war, an dem er begonnen hat, – mit seinem Schreiben – aktiv gegen all das Unrecht und die Gewalt anzukämpfen, deren Zeuge er über die Jahre geworden war.

2. Schreiben gegen Unterdrückung

Orwell hat bereits als Jugendlicher mit dem Schreiben von Gedichten begonnen. Später hat er seine Erlebnisse in journalistischen Texten aufgearbeitet. So reflektiert er seine Zeit bei der britischen Polizei in Indien im Essay „Einen Mann hängen“.

Später thematisiert er sein eigenes Schreiben. Orwell benennt vier zentrale Motive, die seiner Meinung nach bei allen Schriftstellerinnen und Schriftstellern gegeben sind, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung: Da ist einmal der Egoismus, das Streben nach Anerkennung, der Wunsch der Nachwelt in Erinnerung zu bleiben. Dieses Motiv teilen Schriftstellerinnen und Schriftsteller laut Orwell übrigens mit Wissenschaftlerinnen und Künstlern.

Als zweites Motiv für das Schreiben nennt er den ästhetischen Anspruch, der darin besteht Texten einen Klang zu verleihen, Bedeutung abzubilden, Geschichten zu erzählen. Das dritte zentrale Motiv ist für Orwell der historische Impuls, also das Anliegen, die wahre Beschaffenheit der Dinge zu ergründen und der Nachwelt zu überliefern. Das vierte und letzte Motiv ist laut Orwell das politische Bewusstsein: Wer schreibt, möchte dadurch Einfluss auf das politische Geschehen nehmen.

Und genau dazu bekennt sich Orwell ganz ausdrücklich: Schreiben als Kampf gegen Unterdrückung. Das ist ein klares Bekenntnis und ich frage mich, ob ich selbst auch so ein klares Bekenntnis habe, was mein Schreiben – wenngleich als Wissenschaftlerin betrifft, die Art und Weise, wie ich in der Öffentlichkeit auftrete, mich äußere. Wer von uns macht sich Gedanken darüber, ob es für das eigene Leben eine Art Motto gibt – wie für Orwell. Sich aussprechen gegen Gewalt, gegen Unterdrückung, zum Beispiel.

3. Animal Farm

Ich möchte mich heute einem der beiden bekanntesten Werke von George Orwell widmen, der „Farm der Tiere“ (auf Englisch Animal Farm). Das Buch ist im Jahr 1944 erschienen und setzt sich – in Form einer fiktionalen Erzählung – mit der Entwicklung des Sozialismus hin zum sowjetischen Totalitarismus auseinander.

Nachdem Orwell seine Erfahrungen mit Unterdrückung und totalitären Systemen zuvor in journalistischen Beiträgen beschrieben hatte, kam er immer mehr zur Überzeugung, dass er andere Mittel wählen musste, die Menschen wirklich zu erreichen. Dieses Mittel war für ihn die Fiktion.

Die „Farm der Tiere“ schildert die Auflehnung der Tiere gegen ihren menschlichen Besitzer. Das hat zunächst positive Auswirkungen, doch das Blatt wendet sich, als die Schweine die Macht übernehmen und aus der neu gewonnenen Freiheit eine despotische Herrschaft wird. Die Erzählung liest sich als eine Parabel auf die stalinistische Gewaltherrschaft. Mit der despotischen Herrschaft der Schweine über die anderen Tiere stellt Orwell sinnbildlich die Entwicklung von der Russischen Revolution hin zur Diktatur Stalins dar.

Natürlich ist eine Aktualisierung heute nicht eins zu eins möglich. Aber die „Farm der Tiere“ zeigt auch auf, wie Gruppendynamik funktioniert und wie es passieren kann, dass gesellschaftliche Prozesse zu einem ganz anderen Ergebnis führen, als ursprünglich angezielt war. Vielleicht kann das Buch uns immer wieder daran erinnern, wie gefährlich es ist, gesellschaftliche Dynamiken einfach hinzunehmen und zuzuschauen, anstatt sich zu fragen: In welche Richtung bewegen wir uns eigentlich gerade und wollen wir überhaupt in diese Richtung gehen?

4. George Orwell und die Schweine

George Orwell war ein Meister darin, die politischen und sozialen Missstände seiner Zeit in literarischer Form zu kritisieren. In dem dystopischen Roman „1984“ beschreibt er eine Welt, in der die Wahrheit manipuliert und verdreht wird, um die Massen zu kontrollieren. Die Regierung, die von der „Partei“ geführt wird, kontrolliert nicht nur die physischen Handlungen der Menschen, sondern auch ihre Gedanken und Überzeugungen.

Orwell warnte bereits in den 1940er Jahren vor den Gefahren von Fake News und der Manipulation der Wahrheit. Orwells Schriften und Ansichten zur Medienethik sind auch heute noch von großer Bedeutung. Angesichts der Entwicklungen im digitalen Zeitalter, der Verbreitung von Fehlinformationen, der Manipulation von sozialen Medien und der Herausforderungen im Zusammenhang mit Meinungsfreiheit und Datenschutz sind seine Warnungen vor den Gefahren von Medienmanipulation und die Betonung von Wahrhaftigkeit, Unabhängigkeit und Fairness relevanter denn je. Daran erinnert die Innsbrucker Medienethikerin und Theologin Claudia Paganini in ihren „Gedanken für den Tag“ zum 120. Geburtstag des britischen Schriftstellers.

Quelle: Homepage Ö1 / ORF, Redaktion: Alexandra Mantler





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