Der Klassiker als Wunderknabe

betr.: 204. Geburtstag von Herman Melville

Auf die Frage, wie man sich am besten in einer noch unbekannten Tischrunde einführt, sollte man unbedingt davon abraten, als Erstes auf das Thema „Mein Leben unter den Kannibalen“ zu kommen. Der Schauplatz: Südsee vielleicht. Palmen, Orchideen, Kokosnüsse, Pfeile aus Blasrohren. Der Stoff sichert dem neuen Gast unter seinen Zuhörern einen gewissen Anfangserfolg. Doch schnell wird im Publikum der Zweifel wachsen, ob dem Erzähler wirklich zu trauen ist. Wenn das alles wahr sein soll, wieso hat ausgerechnet dieser junge Kerl mit dem gepflegten Bart überlebt? Er sitzt ja hier mitten unter uns im sicheren New York, und keine sichtbare Beschädigung ist zu erkennen. Kann es nicht sein, dass unser Gast – der Autor des Bestsellers „Taipi. Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder Ein Blick auf polynesisches Leben“, das 1846 auf Amerikanisch, bereits ein knappes Jahr später auf Deutsch erschien – nicht doch ein wenig zum Flunkern, zum Hochstapeln, zur „literarischen Überhöhung“ neigt? So ein Erfolg kann nicht von Dauer sein. Er war nicht von Dauer.

Tilman Spengler in „Klassiker der Weltliteratur“ – einer Serie, die auf der ARD Mediathek zu finden ist – über Herman Melville, der nach einer Jugend auf See und einem frühen literarischen Erfolg herunterkam, buchstäblich totgesagt wurde, dessen „Moby Dick“ zu Lebzeiten ein Misserfolg war und der als Hafeninspektor endete.

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