Über die Glitch-Art

Schon lange bevor man damit anfing, in den Werken der (Welt)Literatur herumzuschmieren, um sie einem flüchtigen Moralbegriff anzupassen, gab es ein Medium, bei dem die Eigenart der beständigen Veränderung (was eigentlich „Weiterentwicklung“ bedeuten sollte) obligatorisch war. Einerseits war dem Videospiel schon bei seinem ersten Auftauchen in der Alltagskultur, es mag Anfang der 80er Jahre gewesen sein, anzumerken, dass es seiner Zeit voraus sein wollte. (Für uns Heutige klingt schon das Wort „Video“ nach Unschärfe, Aussetzern, unsauberer Wiedergabe und einem klobigen Gerät mit schnell vergilbender Außenhülle. Deshalb waren alle erleichtert, als der Computer Einzug hielt, und man auf etwas schärferen Monitoren weiterspielen konnte.) Zugleich erzählten diese Spiele am liebsten von der Zukunft, handelten von tollen Sachen, die noch gar nicht erfunden und Welten, die noch nicht entdeckt waren. Technisch nicht ausgereift zu sein, war eine Selbstverständlichkeit, über die Macher und Spielende einvernehmlich hinwegsahen.
Diese Bescheidenheit ist längst verschwunden, doch das Videospiel bleibt ein endoplasmatisches Medium, bei dem Form und Inhalt (Botschaft und Medium) in besonderer Weise miteinander verknüpft sind. Jedes Videospiel, das ein gewisses Alter erreicht, besteht aus Versionen, die die jeweils vorangegangenen verdrängen, und mit dem immer schnelleren technischen Fortschritt verschwinden all die fehlerhaften, überholten Varianten im Nichts. Da auch die zuständigen Geräte unentwegt abgeschafft und neu erfunden werden, lassen sich die verworfenen Bilder auch von interessierten Nostalgikern kaum wieder herstellen.
Ein Beispiel dafür sind die herabrieselnden Mammuts im Spiel „Elder Scrolls V: Skyrim“, sie haben es zu interner Popularität gebracht. Diese Mammuts sind längst ausgebessert (sprich: wegretuschiert) worden, und hätte sie nicht jemand vom Bildschirm abgefilmt, gäbe es nicht einmal unscharfe VHS-Bilder von ihnen.
Das Bewahren solcher Kinderkrankheiten der digitalen Kreativität hat eine seriöse Zunft hervorgebracht: die Videospiel-Archäologie.

Hinreißende Fehlleistung meines Tintenstrahl-Druckers (90er Jahre). Danach hat er leider entweder funktioniert oder herkömmlichen Unsinn hervorgebracht.

Wie ich höre, ist die Computerspiel-Branche darauf bedacht, solche historischen Zeugnisse (etwa ihre Präsentation auf YouTube) zu verhindern oder auszumerzen. Parallel dazu werden den „Glitches“, also den Dokumenten des Fehlerhaften und technisch Unvollkommenen, erste Ausstellungen gewidmet. Die Glitches sind das, was ein Computerspiel einbüßt, wenn ein Update herauskommt. Die Screenshots solcher Momente sind nun Bilder einer Ausstellung Glitch-Art.

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