Die Sprache der lahmen Zwanziger

Unsere öffentliche Streitkultur ist geprägt von weaponized therapy speak, von einem als Waffe eingesetzten Therapeuten-Deutsch. Das wirkt sich leider nicht positiv auf die thematisierten Probleme aus. Parallel zum immer offeneren Ausdiskutieren unserer gesellschaftlichen Malaisen erleben ebendiese eine Blütezeit. Parallel dazu wird zunehmend von Nicht-Künstlern in unser Unterhaltungsangebot eingegriffen, es findet eine Zensur statt.

Wollte man sie nach ihrem popkulturellen Mainstream beurteilen, erscheinen die 2020er Jahre als die „Boring Twenties“: ein scheinbar leidenschaftlich geführter Diskurs besteht in Wahrheit nur aus einem Wettbewerb persönlichen Gekränktseins, das das jeweilige Lager zusammenhält. Aus jeder dieser Bubbles heraus wird – über Alters- und Milieugrenzen hinweg und von politischen Flügeln weitgehend unabhängig – gewetteifert, wer gerade den größten Grund zur Klage, wer im Gegenzug den härtesten Vorwurf auszuteilen hat. Shitstorms und Boykott werden all den Produkten / Produzierenden angedroht, die es wagen, gegen eines der formulierten Verbote zu verstoßen. Diese Debatte geschieht gern in einer Sprache, die man früher nur im persönlichen Gespräch vonseiten fehltherapierter Jammerlappen zu hören bekam, und definiert die Schere im Kopf der kommerziellen Kulturschaffenden (sowie vieler nichtkommerzieller). Da ist viel die Rede von „Toxischem“ (toxische Beziehungen, toxische Männlichkeit …), unentwegt wird vor „Triggern“ gewarnt, „traumatische Erfahrungen“ akkumulieren in der „Mental Load“, die seit der Kindheit mitgeschleppt werden muss, es wehen „Red Flags“ (deutliche Warnzeichen, dass mit dem anderen etwas nicht stimmt), alle sind gerade auf einer „Healing Journey“ (auf der Reise zum besseren, geheilten Selbst – zumindest laut Selbstauskunft). Und auf Schritt und Tritt ist irgendjemand verbal „übergriffig“. Neu an diesem Sprech ist vor allem der hohe Anteil an Anglizismen. Die Vorwürfe, die man früher im privaten Umfeld gelegentlich aufschnappte, klangen eher so: du projizierst, du spiegelst, du machst dich hier ständig zum Thema …

Häufig sind die Klagenden schon im Voraus beleidigt. Als alter, weißer Mann wird man ja nicht mehr jünger oder bunter …
So verkommt unser Unterhaltungsangebot zu einer vorauseilend braven und kitschigen Veranstaltung, ohne dass sich die offiziell beklagten Missstände – Sexismus, Rassismus, Kapitalismus … – deswegen auflösen oder auch nur mindern würden, ganz im Gegenteil. Die Energie, die nötig wäre, um gesellschaftlich voranzukommen, wird auf einem Nebenschauplatz verplempert, in einem Diskurs, dessen jämmerliches Niveau vor allem das mediale Angebot verändert – zum Schlechteren.
Auch die medizinische Fachwelt beginnt inzwischen übrigens über die „pop-psychologische Pathologisierungswelle“ (Franca Cerutti) zu klagen, weil sie eine Banalisierung ihrer Profession befördert.

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