Was bedeutet „Dark Academia“?

betr.: Alter Wein in unnötigen Schläuchen

Die Beliebtheit dieser Strömung auf TikTok verleitet einige Feuilletonisten zu der Vermutung, es stünde gar nicht so schlecht um den bedrohten Kulturträger Buch. Das literarische Genre der „Dark Academia“ lässt Erkenntnislust, Gelehrsamkeit und den Schauplatz der Bibliothek hochleben. Dies geschieht an Orten, wo gestrenge Lehrmeister zwischen Regalen herumschleichen, die mit in Leder gebundenen Folianten gefüllt sind. Das Adjektiv „dark“ = „dunkel“ lässt nicht recht mit einem unbeschwerten Genuss rechnen (zumal Lesen im Dunkeln bei jungen Menschen angeblich schlecht für die Augen und für alte gar nicht mehr möglich ist). Doch es geht nicht nur um buchstäbliche Dunkelheit, wie uns das F.A.Z.-Magazin erläutert, das allen Ernstes „Kerzenleuchter, Kristalle, alte Bücher“ in den Lese(r)räumlichkeiten vermutet: „Dunkel ist auch das Geheimnis, das sich in den Geschichten findet. Es geht um Mord, Verrat und die Schattenseiten elitärer Kreise. Die Charaktere haben Namen wie Richard, Tristan oder Meredith. Sie sind verschroben, kleiden sich klassisch, leben opulent. Der Traum vom Aufstieg wird in einer auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft verhandelt – und die grausamen Auswüchse, zu denen dieser führen kann.“
Der Ursprung des Genres wird im Roman „Die geheime Geschichte“ von Donna Tartt (1992) verortet, dem 30 Jahre nach dem Erscheinen das Wohlwollen des Algorithmus ein Comeback beschert hat. In dieser Erzählung erleben fünf Studenten des Altgriechisch-Studiengangs einer fiktiven Universität eine Mordgeschichte.

Diese schummerige Atmosphäre gefällt dem heutigen Mediennutzer vor allem deshalb so gut, weil er solche Lese-Gewölbe aus dem ersten Akt vieler Fantasy-Romane, -Filme und –Games kennt. Wenn TikTok-Fans auf den Geschmack kommen und langfristig bibliophil werden, dann wäre das unbedingt zu begrüßen.
Ein ähnliches Phänomen (gut, der Vergleich hinkt etwas) erlebten wir zuletzt um die Jahrtausendwende, als eine ganze Generation von ABC-Schützen vom Zauberlehrling Harry Potter in männliche Bücherwürmer und weibliche Leseratten verwandelt wurde. Sogar Brillen durften in der Schule wieder getragen werden, ohne dass man deswegen zwangsläufig zum gehänselten Außenseiter wurde. Natürlich verfügte auch Harrys Zauber-Uni über diese finsteren Gewölbe voller ächzender Bücherregale.

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