Endlich auch mal gesehen: „Der Frauenmörder von Boston“

„The Boston Strangler“ (1968) von Richard Fleischer ist ein bemerkenswerter Film. Kein makelloses Meisterwerk des Kinos, verdient er doch aus verschiedenen Gründen, an jedem Algorithmus vorbei herausgesucht und betrachtet zu werden. Erzählt wird die wahre Geschichte des ersten Serienkillers im modernen Amerika, der Anfang der 60er Jahre 13 Frauen ermordete, ehe man ihn fasste.
Die griffbereite thematische Schublade ist zu vernachlässigen, denn „Der Frauenmörder von Boston“ hat sehr wenig mit den zahllosen einschlägigen Filmen und Serien der letzten 30 Jahre gemein – weder mit den guten noch mit den schlechten. In dokumentarischer Tonlage fügt er eine Unzahl winziger Portraits verschiedener Menschen zusammen, die mit der Mordserie konfrontiert werden (als Verdächtige, Denunzianten, Polizisten, Opfer, Hinterbliebene …), mit dem Ermittlerteam als rotem Faden. All diese Szenen sind makellos inszeniert, gespielt, ausgestattet und fotografiert (Handkamera: Richard Kline) und werden zur kunstvollsten Splitscreen-Komposition zusammengefügt, die ich je sehen werde (ein damals neues Verfahren). „Variety“ nannte das Ergebnis einen „Triumph des Geschmacks und der Zurückhaltung“. Stimmt.

Was wir hier außerdem sehen, ist ein Abgesang auf die erzählerische Ästhetik des Studiosystems und des Technicolor-Zeitalters. Schon zwei Jahre später hätte der Film aus der Hand der gleichen Beteiligten völlig anders ausgesehen.
Doch nach einer Dreiviertelstunde wendet sich das Blatt.
Die Show ist fast zur Hälfte vorbei, da wird uns der Mörder erstmals deutlich gezeigt: zu Hause, als netter Familienvater, der plötzlich unter einem Vorwand das Haus verlässt. – Der Charmeur und Komödiant Tony Curtis wollte mit dieser Darstellung ganz offensichtlich aus seinem angestammten Rollenfach ausbrechen.
Ein kurzer Mittelteil schließt sich an, der hauptsächlich um den mordenden Handwerker Albert DeSalvo kreist, der eher zufällig von der Polizei gefasst wird, nachdem er sich eine Reihe von Nachlässigkeiten geleistet hat.
Der abschließende Akt ist ein Kammerspiel, ein Rededuell zwischen Curtis und dem großen Altstar des Films: Henry Fonda (der hier noch einmal die grundanständige Stütze der Gesellschaft gibt, ehe er Monate später in „Spiel mir das Lied vom Tod“ die Welt mit der Verkörperung des dreckigsten denkbaren Widerlings entsetzte). Die Verhörszenen spielen in einem leeren, gleißendhellen Raum und sind auch sonst als Gegenentwurf zum bisher Gezeigten angelegt. Dieser Spagat gelingt nicht recht. Der Film bricht auseinander, und der hintere Teil ist der langsamere, obwohl Tony Curtis seine ungewohnte Aufgabe wirklich anständig bewältigt (so anständig wie es seine falsche Nase erlaubt).

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