Hiergeblieben!

betr.: „The Holdovers“

Mein Begleiter hatte mich schon vorgewarnt: „The Holdovers“ (was für ein knotendoofer deutscher Verleihtitel!) sei ein Film, der in den frühen 70er Jahren spielt, und es sei ein großes Gewese darum gemacht worden, wie doll man den damaligen Look hinbekommen habe. Das war – wie sich zeigen sollte – ein symbolträchtiger Hinweis. Die 70er sind in der Tat recht gut getroffen, doch das sollte eigentlich zum Service gehören, wenn ein Hollywoodfilm sich für diesen Handlungszeitraum entscheidet. Naseweise Effekte zu Beginn wie das grünstichige Universal-Logo (so hat es zu keiner Zeit ausgesehen) und ein aufdringliches Knistern (es ist ein Schallplattenknistern, nicht das einer Lichttonspur) wirken jedenfalls arg verzweifelt und verschwinden gottlob nach kurzer Zeit.
Was sich dann entfaltet, ist tatsächlich eine im schönsten Sinne altmodische Geschichte (weitgehend) ohne den obligatorischen Schnickschnack, bei der die Figuren, ihre Konflikte und ihre Darsteller im Mittelpunkt stehen. Es ist dem Film jedoch anzumerken, dass Hollywood aus der Übung ist, solch leise Kammerspiele zu inszenieren. Der Film hat keinerlei Rhythmus, und hängt beständig ein wenig durch. Mit 133 Minuten ist er mindestens um eine Dreiviertelstunde zu lang, aber vielleicht muss das inzwischen so sein, um überhaupt eine Aufführungsfreigabe zu bekommen. Immerhin: die Figuren machen Spaß und sind sehr sympathisch – obwohl sie einander regelmäßig darauf hinweisen, wie unbeliebt sie seien und dass sich freiwillig niemand mit ihnen abgeben möchte. Man ist ihnen beinahe dankbar, dass sie so konventionell geraten sind.
Die schauspielerischen Leistungen sind respektabel, jedoch weit davon entfernt, zur vorliegenden Begeisterung Anlass zu geben – und das ist gut so, denn die Handlung bietet gar keinen Raum für Method-Acting-Kapriolen. Vor allem die Darstellerin der Köchin Mary (die allen Ernstes für den Oscar nominiert ist) ist vor allem gut besetzt und hat dann nicht viel mehr zu tun als sich textsicher vom Charme ihrer Rolle und vom Mitgefühl, dass sie als trauernde Mutter auf sich zieht, tragen zu lassen. Aber in unseren Tagen muss man wohl nominieren, was man kriegt, und über jeden Kandidaten froh sein, der nicht nur im Latexkostüm vor einer Greenscreen herumgemimt hat.
Dass „The Holdovers“ zu den hochbedachten Favoriten der anstehenden Oscarverleihung gehört, ist so bezeichnend wie aberwitzig.

Wen dieser Film tatsächlich begeistert oder wenigstens gerührt hat, für den gibt es famose Neuigkeiten: die Archive, Mediatheken und DVD-Billig-Regale sind prallvoll mit ähnlichen Sujets früherer Zeiten (nicht nur aus den 70ern), die sogar weitaus geglückter sind. Wichtig in diesem Zusammenhang: man sollte nicht nur die naheliegenden Klassiker (wie „Ordinary People“, „Der Frühstücksclub“ oder den unvermeidlichen „Club der toten Dichter“), sondern auch die Nebenwerke in den Blick nehmen. Vielleicht bringt ja das eine oder andere Programmkino eine entsprechende Auswahl. Dann hätte sich der Hype wirklich gelohnt.

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