China heute

Kai Luehrs-Kaiser erzählt in der Sendereihe „Meine Musik“

Ich war vorige Woche etliche Tage in China, genaugenommen in Peking, Suzhou und Shanghai, Orte von durchaus unterschiedlichem Appeal. Shanghai – wo ich noch nie gewesen bin – stellt an Glamour und Spektakel schlichtweg alles in den Schatten, was man zwischen Asien, Europa und USA überhaupt finden kann; sogar Hong Kong verblasst, und der Times Square ist ein Dreck dagegen. Sehr amerikanisch das alles, ungeachtet aller politischen Drangsal, der man in China ausgesetzt ist. Inzwischen kann man keine U-Bahn mehr betreten ohne eine Sicherheitsschleuse zu durchlaufen wie wir sie nur vom Flughafen kennen: man muss sein Gepäck durchchecken lassen. Selbst in Museen kommt man nur noch hinein, wenn man sich vorher online registriert hat und seinen Reisepass vorlegt. Zu den Segnungen der Digitalisierung, wenn es denn welche gibt, gesellen sich in China deren Schrecknisse hinzu.
Bargeld ist dort praktisch abgeschafft, man zahlt per Handy. Nicht mal im Hotelrestaurant von Suzhou, und es war ein gutes Hotel, wurde meine VISA-Card noch akzeptiert, auch im Taxi nicht. Zwar soll es angeblich noch möglich sein, auch bar zu bezahlen, das scheitert aber meistens an den tatsächlichen Gegebenheiten. Nicht einmal in Supermärkten ist noch eine Bargeldkasse vorhanden. In den chinesischen Bezahlsystemen WeChat und Alipay hat man als Europäer nichts zu suchen. Dazu müsste man über ein chinesisches Konto verfügen. Entsprechend wenige Touristen trifft man an. (Dabei kommt man, wenn man nur zwei Wochen bleibt, aus Deutschland derzeit sogar ohne Visum nach China.)
China hat sich seine digitale Touristenfalle selbst gebaut. Naja, es ist ein großes Land, und die werden sich wahrscheinlich sagen: die Welt wird nachziehen – und sie werden recht behalten.

Dass dieses Land bereisenswert ist, muss ich nicht eigens betonen. Dass man in China – abseits aller kulturellen Begeisterung – ein gewisses Unbehagen nicht ganz los wird, hat politische Gründe. Die Leute selbst sind reizend, sehr freundlich, hilfsbereit, auch längst nicht mehr so übergriffig wie es noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Viele Phänomene, die ich noch vor einigen Jahren dort beobachtete, sind verschwunden.
Zum Beispiel gingen die Leute früher immer in die Parks, um ihre Ziervögel auszuführen: sie hängten diese Vögel in Holzkäfigen in die Bäume hinein, damit die auch mal an die frische Luft kommen. Ebenso versunken ist der Brauch, dass Künstler mit dicken Wasserpinseln kalligraphische Zeichen aufs Trottoir malten, die dann sofort wieder wegtrockneten, was sehr schön anzusehen war.
Während man in China den Turbokapitalismus installierte, hat man das autoritäre kommunistische Regime vollständig beibehalten.
Was ist das Lehrreiche an einer China-Reise? Wir sehen, wie rasend schnell man ein Land modernisieren kann. Innerhalb weniger Jahre wurde in Peking ein gewaltiges U-Bahnnetz als Ganzes unter der Stadt eingezogen. Die traditionelle Hutong-Bebauung hat man im selben Atemzug restlos beseitigt. Die riesigen Trabantenstädte, durch die man mit dem Zug hindurchrauscht, wenn man in gerade mal fünfeinhalb Stunden von Peking nach Shanghai fährt (die Züge schaffen 300 km/h und mehr), sind so uniform und gigantomanisch, dass sie nichts als den Eindruck gottlosen Horrors verströmen. Wer aussteigt, muss sich hart gewappnet haben.
Wenn man sich vor diesem optischen Hintergrund den zögerlichen Berliner Wohnungsbau vor Augen führt, bricht man in Tränen der Rührung aus. Bei der Landung hatte ich den Eindruck: was für ein beschauliches, flaches, verkehrsberuhigtes Großdorf Berlin doch ist.

Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert