Vom Vergnügen, geistreich aufs Glatteis geführt zu werden

Spoilerwarnung: in diesem Text wird die Auflösung eines Krimiklassikers von Agatha Christie verraten!

Vor knapp 100 Jahren konnte sich Agatha Christie über den Wirbel freuen, den die Pointe ihres Kriminalromans „Alibi“ / „The Murder Of Roger Ackroyd“ auslöste. Ungewöhnlicherweise wird hier ein Fall für Hercule Poirot aus der Ich-Perspektive erzählt, und zwar aus der eines Mannes, der sich zuletzt als der Täter entpuppen wird. Das ist nicht illegitim, aber doch ganz schön frech (und weniger verwerflich als die filmische Variante solchen Tuns: die lügende Rückblende). Obwohl die Beschimpfungen ihrer Gegner ihren zahlreichen Fans den Mörder des Whodunits verrieten, war die kostenlose Werbung für die Autorin beträchtlich.
Als der mordende Erzähler überführt und ganz buchstäblich am Ende ist, erweist er sich als guter Verlierer. Er fügt sich Poirots Empfehlung, sich aus Rücksicht auf eine liebe Verwandte zu vergiften. Und er tröstet sich damit, wie raffiniert er uns Leser aufs Glatteis geführt hat, wie geschickt er uns niemals anlog, sondern nur einige Details wegließ.

In der großartigen deutschen Hörspielfassung von 1956, mit Poirot-Darsteller Joseph Offenbach (der seinen hessischen Dialekt kunstvoll zu einem belgischen Akzent umformt) und Charles Regnier als fidelem Erzähler, schleicht sich leider gerade hier ein grammatikalischer Fehler ein: an der Stelle, da der Mörder seine sprachliche Finesse lobt.

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Ausriss aus der Atlantik-Ausgabe (Hoffmann und Campe), übersetzt von Michael Mundhenk

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