Katholik, aber mit Hintersinn

betr.: 88. Todestag von Gilbert Keith Chesterton

Gilbert K. Chesterton sei mehr als nur der Autor der „Pater Brown“-Krimis, heißt es hin und wieder im Feuilleton (zuletzt als er kürzlich 150 Jahre alt geworden wäre), und das ist unzweifelhaft richtig. Aber als ich vor einigen Jahren ein als philosophisch konnotiertes Lesebuch mit seinen Texten kaufte, war ich so enttäuscht, dass ich es rasch wieder weggelegt habe.
Bei diesem Einkauf hatte mich auch das schlechte Gewissen getrieben. Jahrelang habe ich diesen Autor unbewusst nach der miefigen Selbstgerechtigkeit der „Pater Brown“-Verfilmungen mit Heinz Rühmann beurteilt, die bis vor Kurzem so penetrant durch das TV-Programm rotierten, dass sie eine merkwürdige Anmutung von Wahrheit entwickelten. Inzwischen weiß ich längst, dass die zugrundeliegenden Erzählungen eine großartige Lektüre sind, obwohl ich mich mit der Kirche eigentlich nicht mehr gern beschäftigen mag. Mit seinem Fazit („Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.“) hat der Autor sicher nicht ganz unrecht.
Die Zeitläufte haben allerlei unsinnigen Kleinkram zwischen uns und Chesterton abgelagert. Die beginnen damit, dass sein „Father Brown“ ein Landpfarrer ist und wir ihn nur wegen einer schludrigen Übersetzung, die man später nicht wieder ändern mochte, als „Pater“ wahrnehmen. Sie gipfeln darin, dass unterdessen eine Otti-Fischer-Serie namens „Pfarrer Braun“ davon abgekupfert wurde, die ihm noch weniger gerecht wird als die paternalischen Rühmann-Filme.

Chestertons Vater war Häusermakler gewesen, die Familie Teil der englischen Mittelschicht. Der Junge studierte zunächst Kunstgeschichte, wandte sich aber bald dem Schreiben zu und wurde durch Zeitungsartikel einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, vor allem durch seine Kritik am Burenkrieg in Südafrika und an der imperialistischen Politik Englands.
Als Chesterton 1922 zur katholischen Kirche übertrat, hat er damit sogar einen Skandal erregt, denn dieser Verein hatte damals in England ein sehr schlechtes Image. Das ist in diesem Zusammenhang ein hilfreicher Hintergedanke (und erinnert uns daran, wie viel Aufmerksamkeit man einst als Schriftsteller genießen konnte…).
In der Folge entwickelte Chesterton eine reiche Vortrags- und Reisetätigkeit und schrieb Biografien, unter anderem über Franz von Assisi und Thomas von Aquin. Er „wurde zu einem scharfzüngigen Verteidiger der katholischen Orthodoxie und ihrer Dogmen, die ihm mit ihrem Wahrheitsanspruch interessanter schien als modische Ketzereien“ (Cornelius Hell), hat sich aber mit den unterschiedlichsten philosophischen Strömungen auseinandergesetzt. Kollegen wie Robert Musil oder Hermann Hesse haben ihn hochgeschätzt, der marxistische Philosoph Ernst Bloch hat ihm seine Referenz erwiesen und Hans Magnus Enzensberger hat wichtige Schriften Chestertons in seiner „Anderen Bibliothek“ herausgegeben.

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