Bitte auseinandernehmen!

Betr.: „Besondere Momente mit falschem Applaus“ (avant verlag)

Es gibt in der Welt des Comics viel mehr gute Zeichner als gute Szenaristen, und nicht jeder, der gut zeichnet, kann auf dieser Ebene auch gut erzählen.
Als Freund des Mediums sollte man also auch dann zugreifen, wenn viele große  Wünsche offenbleiben.

Gipi (Gian Alfonso Pacinotti) ist ein besonders begabter Zeichner, der zwischen wie hingeworfenen Strichzeichnungen und großartig colorierten Aquarellpassagen munter wechselt. Leider tut er das auch auf der Erzählebene.
Charles Burns beherrscht diese Form, Gipi nicht.
Der beständige Wechsel von Traum und Wirklichkeit, Einst und Jetzt, Ebene und Metaebene ist in allen Kunstgattungen sehr beliebt, weil er dem Künstler das Verwursten von Unfertigem aus dem Zettelkasten gestattet. Das ginge ebensogut in Form kurzer Sujets – auch das ein klassisches Konzept, das besonders im frankobelgischen Raum zu erinnerungswürdigen Ergebnissen geführt hat (sowohl im Funny wie auch im Erwachsenencomic). Leider scheint es auf dem Comic-Buchmarkt (also der „Graphic Novel“) genauso zuzugehen wie in der Belletristik: Romane verkaufen sich besser als Kurzgeschichten (oder machen nach Verlegermeinung mehr her, was weiß ich …).

Gipi ist leider nicht begabt darin, seine Erzählstruktur halbwegs zugänglich zu gestalten. Wie grandios seine Ideen auf der Kurzstrecke funktionieren würden, ahnt, wer die Geschichte von dem Jungen, der sich im Strandurlaub etwas weiter hinauswagt und dann als leuchtendes Kind sein älteres Ich heimsucht, am Stück zu lesen versucht (und z.B. die Kriegsgeschichte einstweilen ignoriert oder das Stand-Up-Abenteuer auf später verschiebt, das dem Buch den Titel gab).
Der vierseitige Dschungel-Thriller ist gar ein fortlaufendes, für sich stehendes Binnen-Gesamtkunstwerk und verkündet überdies die frohe Botschaft, dass der Mangel an guten Dialogen gar nicht ins Gewicht fallen muss.
Und dass der Zeichner Gipi tatsächlich das Zeug zum guten Bilder-Erzähler hat.

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