Ein Mann wird unnütz

betr.: 84. Todestag von Max Herrmann-Neiße

Stefan Zweig nannte die Gedichte von Max Herrmann-Neiße „die schönsten vielleicht, die seit Heinrich Heine im Exil geschrieben wurden“. Anlässlich des Erscheinens des Romans „Der Flüchtling“ 1921 schrieb die Prager Presse: „Was George Grosz gezeichnet hat – Herrmann-Neiße hat es geschrieben. Der Goya unserer Tage und ein kongenialer Dichter, ein Karl Kraus des Romans“. Besonders aktuell (wer’s braucht) ist das letzte vor dem Exil veröffentlichte Prosawerk „Der Todeskandidat“, das als Hörspiel zur Zeit in der ARD-Audiothek nachzuhören ist. Der Titelheld ist nicht etwa Häftling eines despotischen Regimes, sondern ein recht sorgenfreier junger Mann aus Berlin, den unerklärlicherweise plötzlich eine Depression befällt.*
 
1941 starb der Autor in London. Der Bayerische Rundfunk: „Max Herrmann-Neiße, über den unsere Literaturlexika kaum etwas wissen, der Leser noch weniger, Herrmann-Neiße, der dieses Deutschland verließ, ‘freiwillig‘, wie es zynischerweise eines dieser unwissend-dummen Lexika behauptet, war der enge Freund von George Grosz …, war bis in die dreißiger Jahre einer der bekanntesten deutschen Lyriker. Die Nazis schnitten ihm den Lebensnerv ab.“
Im Exil hat der Autor weitergeschrieben, und diese Texte sind mindestens leicht autobiografisch. Der Held der Kurzgeschichte „Schmitts Katze“ etwa lebt als Berliner Emigrant in London – obschon weder der Grund seines Umzugs erwähnt wird noch ein Anlass besteht, ihn mit seinem Erfinder zu verwechseln.

Mit der Wiederentdeckung des famosen Stilisten Max Herrmann-Neiße ist es natürlich Essig, und das liegt in der Natur der Sache. Inzwischen ist der „Content“, der sich über allem Gewesenen aufhäuft, einfach zu gewaltig, um darunter noch etwas aufzuspüren, das nicht sehr prominent zitiert oder explizit weiterverarbeitet wird.
1986 – zum 100. Geburtstag des Autors – drückte der Verlag „Zweitausendeins“ zum bisher letzten Mal die Läden eines kleines Zeitfensters der Erinnerung auseinander, als er die gesammelten Werke Herrmann-Neißes in mehreren Tranchen als bibliophile schmuck-Ausgabe herausbrachte. Das Stadtmagazin „Zitty“ freute sich: „Fadenbindung, Lesebändchen, klares Schriftbild, großzügiges Layout. Watt willste mer?“
Es hat nicht gereicht. 
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2025/02/20/27431/

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