In seiner wöchentlichen Kolumne bricht Harald Martenstein eine Lanze für die Mittelmäßigkeit. Daran ist zunächst viel Wahres, Schönes, Gutes. Als Kritiker weiß er diese Einordnung schon deshalb zu schätzen, weil er erfahren musste, „wie erholsam ein mittelmäßiger Film oder ein mittelmäßiger Roman sein können, wenn man es vorher mit etlichen schlechten Exemplaren zu tun hatte. Es ist alles andere als selbstverständlich, mittelmäßig zu sein, manchen Menschen gelingt es in ihrem Berufsleben kein einziges Mal. Sie säen nicht, sie ernten nicht, und der Herr ernährt sie doch“.
Er findet sogar: „Das Mittelmäßige, dessen man sich bewusst ist, liegt viel näher beim Guten als beim Schlechten. Mittelmaß bedeutet, sein Handwerk im Großen und Ganzen zu beherrschen, etwas Brauchbares abzuliefern, die eigenen Grenzen zu kennen und mit dem, was man tut (…), keinen Schaden anzurichten.“ Und wie sähe so ein Schaden auf dem Gebiet der schönen Künste aus? „Schlimm sind natürlich mittelmäßige Künstler, die ihr Mittelmaß nicht durchschauen und überambitionierten Kunstscheiß abliefern, der darin besteht, einen schlichten, oft durchaus okayen Gedanken (die Welt ist schlecht, helft den Notleidenden, nieder mit dem Faschismus oder so was) kompliziert auszudrücken. Schlechte Kritiker loben das dann.“
Was hier lediglich fehlt, ist der Hinweis, dass sich das Mittelmaß auf einer qualitativen Skala nicht zuverlässig verorten lässt. Nicht einmal unter Menschen (Kritikern …), die sich geschmacklich einig sind. Irgendwo muss die Latte ja angelegt werden – und irgendwann, nämlich in der Gegenwart. Die Banalität unserer von Franchises und wiederkäuender KI verfinsterten Kultur- und Popkulturlandschaft (und ihrer extremen Ausweichreflexe) ließe ein mittelmäßiges Produkt aus dem vorigen Jahrhundert schon beinahe zwangsläufig in der eingangs beschriebenen Weise wohltuend wirken: als Pause von dem ganzen Mist, der schlimm ist, obwohl er nicht einmal den Plan hat, einen okayen Gedanken wiederzugeben.