Method Acting

betr.: 87. Todestag von Konstantin Sergejewitsch Stanislawski

In seinem Erinnerungsbuch „Sein oder Spielen“, das er als Handbuch zur Filmschauspielerei zubereitet hat, widmet der Regisseur Dominik Graf dem unverwüstlichen Thema „Die Methode“ ein erfreulich umfassendes und knackiges Kapitel. Der leicht tendenziöse Unterton ist mir nicht entgangen, trifft aber den Kern der Sache.
Graf eröffnet mit der inzwischen populären Anekdote vom Set des Thrillers „Der Marathon-Mann“, in dem der legendäre Altstar der Bühne und des Hollywoodfilms Laurence Olivier dem jungen Kollegen Dustin Hoffman – er hatte drei Nächte lang nicht geschlafen und drei Tage gehungert, um einen solchen Zustand überzeugend abzubilden – den Rat gab, es doch einfach zu spielen.
Als ich mich im Rahmen meines Filmpodcasts „Kultfilm Azubis“ kürzlich mit „Der letzte Tango in Paris“ auseinanderzusetzen hatte, fand ich dort einen anderen Publikumsliebling früherer Zeiten vor, der inzwischen hauptsächlich von Foren-Insassen verehrt wird, die seine Filme gar nicht gesehen, sondern bestenfalls gegoogelt haben: Marlon Brando. Auch er trug das Method-Acting stets als eine sexy Ausrede vor sich her (das Stichwort lautet wohl „Wahrhaftigkeit“), wenn er keine Lust hatte, seinen Text zu lernen. Dass er im besagten Film einen ungepflegten, notgeilen alten Sack zu verkörpern hat, der weitgehend einvernehmlich über eine eben Volljährige herfallen darf, wird ihn schwerlich zu einem tiefen Durchdringen einer neu zu erschaffenden Kunstfigur veranlasst haben.
Hier folgt eine behutsam ergänzte Auswertung des Textes von Dominik Graf.

Ein künstlerisches System, das sich über Jahrzehnte etabliert hat, droht selbstzufrieden und sklerotisch zu werden. Es muss dann zerstört und neu erfunden werden. Der Widerstand gegen das Bestehende, das Misstrauen ist eine kreative Kraft.
Der Moskauer Regisseur Konstantin Stanislawski entwickelte gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen revolutionären Spiel- und Inszenierungsstil, der den Schauspieler aus seiner bisherigen Verfasstheit befreite, dem statischen, kostümierten Aufsagen seines Textes. Um als „authentisch“ gelten zu dürfen, sollte sich sein Spiel am inneren Erleben orientieren, an einem lebendigen Realismus in Mimik und Sprache. So sollte er „in einem wahrhaft schöpferischen Augenblick die Rolle selbst“ werden, sich total mit der Figur und ihrer Haltung, ihrer „emotionsfieberkurve“ (Graf) identifizieren: intuitiv, nicht intellektuell und gern unter Hinzuziehung von Requisiten.

Stanislawski rette auf diese Weise die zunächst durchgefallenen Arbeiten von Anton Tschechow und ebnete ihm den Weg zum Klassikerstatus. Dennoch plagten den einflussreichen, despotisch wirkenden Theater-Revolutionär auch Selbstzweifel. Er musste sich als Kunstschaffender unter den Machthabern nach der Oktoberrevolution unauffällig verhalten und revidierte seine Theorien manches Mal. Aus Kollegenkreisen wurde ihm außerdem bald heftig widersprochen. Der 1940 im Rahmen der stalinistischen Säuberungen ermordete Regisseur Wsewolod Meyerhold ging Stanislawskis Weg der Innerlichkeit gewissermaßen wieder zurück und propagierte das Vorzeigen einstudierter Gesten und Haltungen, die Handlungen eher symbolisierten. In diese Richtung gehört auch Bertolt Brechts „Episches Theater“, eine belehren wollende Schauspieler-Revue mit Musik, deren klischeehafter Moritaten-Stil und dessen moralische Botschaften großen Erfolg beim Publikum des deutschen Sprachraums hatte. Noch nach dem Krieg hatte dieses Konzept seine leidenschaftlichen Bewunderer, verschwand in den 70er und 80er Jahren aber in einer Nische von „psychologischem und kulinarischem Effekt-Theater“. Im Osten hielt es sich bis zur Wende als tonangebend.

Stanislawskis „Methode“ schaffte durch Gastspiele in New York und durch Vermittlung russischer Exilanten den Sprung in die USA. Der Schauspieler Lee Strasberg gründete 1947 mit Elia Kazan und anderen das „Actor’s Studio“, das weniger Schule als Laboratorium für experimentelles Spiel war. Die Schauspieler coachten sich gegenseitig, entwickelten und verwarfen gemeinsam. Die Aufforderung, in sich hineinzuhorchen und aus sich zu schöpfen, führte zwangläufig dazu, das Abgründiges und Finsteres besonders gut ankam.
Bald gab es Gegen-Schulen in New York, die Stanislawski ganz anders interpretierten. Die wichtigste Figur in diesem Zusammenhang dürfte Stella Adler gewesen sein, die im heutigen Schauspieler-Smalltalk hierzulande gern zu einer Weggefährtin Strasbergs umgedeutet wird. Sie hatte noch beim alternden Großmeister in Moskau studiert und hielt Strasbergs Forderung, das Ich zu suchen, während man einen anderen spielt, für „ungesund“ bzw. schizophren. Sie bestand darauf, eher das Gegenüber als Inspiration zu nutzen, mit dem Raum und mit Entfernungen zu spielen. Als Strasberg starb, rief ihm Stella Adler den Vorwurf hinterher, das amerikanische Schauspiel um hundert Jahre zurückgeworfen zu haben.

„Realismus“ und „Wahrhaftigkeit“ sind Bergriffe, die jede Zeit (und jede Bubble) für sich neu interpretiert, sie sind „geradezu deprimierend volatil“. Das bringt uns zurück zum Anfang: „Ein künstlerisches System, das sich über Jahrzehnte etabliert hat, droht selbstzufrieden und sklerotisch zu werden. Es muss dann zerstört und neu erfunden werden. Der Widerstand gegen das Bestehende, das Misstrauen ist eine kreative Kraft.“
Zur Abrundung sei eine Bildunterschrift der Hitchcock-Analysten Harris & Lasky zitiert. Das Foto zeigt Held und Regisseur des Kolportagekrimis „Der zerrissene Vorhang“. Darunter steht: „Alfred Hitchcock erklärt seinem Star Paul Newman, wie er eine Szene Spielen soll, und Newman erklärt ihm, wie er sie spielen wird.“

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