betr.: So wohnen literarische Figuren
Auch das Milieu, in dem eine Figur lebt, ist Teil ihrer Wohnkultur. Ein Ermittler des hartgesottenen Kriminal-Romanautors James Ellroy führt uns in das titelgebende „High Darktown“ in Los Angeles um die Zeit des Kriegsendes.
Ich überflog den Bericht, der neben mir auf der Sitzbank lag. Die Tatorte der vier neuen schwarzweißen Überfälle lagen zwischen der 26th Ecke Gramercy und der La Brea Ecke Adams. Kaum hatte ich die Demarkationslinie überquert, wechselte die Topographie unversehens von weißem Mittelmaß zu schwarzem Stolz. Die Häuser östlich von St. Andrews waren verwahrlost, mit blättrigem Anstrich und verwilderten Vorgärten. Die Domizile auf der Westseite wirkten wesentlich eleganter: gemütliche Eigenheime, umgeben von Mauern und gepflegtem Grün; die Villen, denen West Adams den Spitznamen verdankte, stellten selbst Beverly-Hills-Paläste in den Schatten – sie waren älter, größer und architektonisch nicht annähernd so prätentiös, als hätten ihre Besitzer gewusst, dass man reich und schwarz nur dann sein konnte, wenn man sein Licht mit der großmütigen Bescheidenheit des alteingesessenen weißen Geldadels unter den Scheffel stellte.
Ich kannte High Darktown lediglich aus Unmengen widersprüchlicher Legenden, die sich um das Viertel rankten. Damals bei der University Division hatte es nicht auf meiner Runde gelegen. Nirgendwo in L.A. war die Kriminalitätsrate so niedrig wie hier. Die Häuptlinge der University hielten sich an ein ungeschriebenes Gesetz und ließen die reichen Schwarzen selbst für ihre Sicherheit sorgen, als sprächen wir einfachen Indianer eine andere Sprache. Und die Bewohner von High Darktown machten ihre Sache gut. Einbrecher, die dumm genug waren, nachts durch riesige Vorgärten zu schleichen und Tiffanyfenster einzuschlagen, wurden in der Regel mit einer tödlichen Ladung Schrot aus einem Tausend-Dollar-Jagdgewehr in Empfang genommen, abgefeuert von schwarzen Finanziers mit einem aristokratischen Temperament, das dem eines beliebigen weißen Bonzen in nichts nachkam. High Darktown war eine uneinnehmbare Festung.
(…) Wir verließen High Darktown über die Western, und binnen Minuten wichen Villen und herausgeputzte Eigenheime Mietskasernen und armseligen Hütten aus Dachpappe und Maschendraht. Je weiter wir nach Süden vordrangen, desto schlimmer wurde es; als der Packard an der 94th links abbog und Kurs nach Osten nahm, vorbei an Autofriedhöfen, Frisiersalons und Voodoo-Ladenkirchen, hatte ich das Gefühl, in den schlimmsten Alptraum eines Weißen geraten zu sein.