So unheimlich wie begabt

betr.: „Manfred Krug: Ich find mich unheimlich begabt“, die Lange Nacht im Deutschlandfunk

Was bringt es, einem längst verblichenen Publikumsliebling, dem man selbst viele Stunden lang gern zugesehen hat, Steine hinterherzuwerfen? Nichts. Aber bei einem Mann, der so viel Applaus dafür erntete, als jovial-spitzfindiger Kuschelbär rüberzukommen, hat Manfred Krug etwas mehr Fallhöhe als um scheinbare Nähe bemühte Promis heutiger Tage. Und wenn ich einem ansonsten so gut recherchierten Feature zuhöre wie der aktuellen „Langen Nacht“, wurmt es mich schon, dass völlig unangedeutet bleibt, was mir alle berichtet haben, die sich zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Sänger und Schauspieler in kleiner Runde äußern mochten: Krug war ein Tyrann, der alle um sich her bodenlos zu verachteten schien und sich ihnen in einer geradezu darwinistischen Weise überlegen fühlte. Die Text-Bild-Schere ist in diesem Falle wirklich atemberaubend, der geschilderte Kollege passt wesentlich besser zu dem Onkel, der dem Publikum wertlose Telekom-Aktien andreht, als zu seiner hauptberuflichen Persona. Auch Krugs Wirkung als Sänger beruhte auf der Illusion von Feingefühl und der Liebe zur Kreatur.

Im Feature heißt es nachsichtig, er habe sich schwer Texte merken können. Wie ich hingegen immer wieder hörte, hat er es als echter A-Promi auch gar nicht erst für nötig gehalten und jedem Spielpartner das Drehbuch wortlos vor den Bauch gedrückt, um es beim Gegenschuss ablesen zu können. Und das mag nur die handwerkliche Krönung seiner allgemeinen Umgangsformen gewesen sein.
Dass der berühmte Stahlkocher aller narzisstischen Kränkung unter dem SED-Regime zum Trotz zu den ganz großen Glückspilzen gehörte (als einziger Star der DDR, der Bonner wie auch der Berliner Republik), hat er vollständig verdrängt und lebenslang Rache für jede Debatte mit irgendwelchen SED-Fuzzis, für jede Schulhof-Rangelei geübt, in der er (unglaublicherweise) der Unterlegene gewesen sein könnte. Bis ins Erwachsenendasein an westlichen Drehorten hinein.
Der Titel der „Langen Nacht“ ist insofern klug gewählt: „Ich find mich unheimlich begabt“. Man kann ihm nicht einmal widersprechen, denn selbst als Zeitzeuge in eigener Sache auf historischen Aufnahmen ist er hinreißend. Aus dem Munde eines so heiteren und – anscheinend – weltzufriedenen Zeitgenossen hätte diese Überschrift sogar zu jeder Zeit seines Erfolges im Westfernsehen geradezu charmant geklungen.

Zu Krugs Glück gehörte nicht zuletzt die Freundschaft mit Jurek Becker. Sie hatte jenseits ihres Wertes an sich noch den Vorteil, dass ihm hier ein sehr fähiger Autor eine Rolle auf den Leib schneiderte, die bei allem Biss an Liebenswürdigkeit, Schalk und Fairness nicht zu überbieten war: „Liebling Kreuzberg“. Zwar sank die Qualität der Bücher mit dem Beginn der zweiten Staffel erheblich ab (zuletzt hat sich darüber sogar der Hauptdarsteller darüber beklagt, wie das Feature berichtet), doch das machte Beckers Tod nicht weniger schmerzvoll für seinen Serienhelden und besten Freund.

In den frühen Folgen von „Liebling Kreuzberg“ und der Stoever-„Tatorte“ auf Krugs großzügiges Naturell hereingefallen zu sein, ließ mich die „Lange Nacht“ mit einer juckenden Gänsehaut verfolgen. Erst in der Schlussphase der „Tatort“-Reihe – mit ihren immer krampfhafter werdenden ritualisierten Gesangseinlagen und einer nicht länger verhohlenen Muffigkeit in Richtung Kamera – schwappte Manfred Krugs Blick auf die Mitwelt auch über den Bildschirm hinweg. Nicht, dass es jemanden gestört hätte

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