Was ist „Porno chic“?

1973 brachte der film „Deep Throat“ den Durchbruch des „Porno Chic“. So bezeichnete die „New York Times“ die modische Genre-Strömung im Kino, bei der „Fellatio, Cunnilingus, Frontal- und Rektalverkehr zum täglichen Brot“ gehörten. Das war deshalb der Erwähnung wert, weil derart explizite Sexszenen gewöhnlich nur im Filmangebot für Bahnhofs- und Kabinenkinos üblich waren. Der Begriff „Deep Throat“ stammte aus dem Vokabular der Watergate-Affäre und meinte dort den lange Zeit geheimen wichtigsten Informanten, hier bezog er sich nun auf Oralverkehr. Der Film war kommerziell so erfolgreich, dass die Filmindustrie sich dafür öffnete, unterschiedlichste Zielgruppen mit deutlichen Darstellungen sinnlich zu stimulieren.
In der Ausgabe 37/1975 leistete sich der „Spiegel“ die Titelgeschichte „Kino der Lüste“ mit einem verkaufsfördernden barbusigen Cover, wie man es sonst eher von „Quick“ oder „Stern“ gewohnt war. Darin drängte die „erotische Kinokunst vehement in die Katakomben des schamhaft Verdrängten, Verbotenen, Tabuisierten“. Der „Der letzte Tango in Paris“ stand auf den regulären Kinospielplänen, und Pier Paolo Pasolini meinte, den DeSade-Klassiker „Die 120 Tage von Sodom“ noch dadurch aufjazzen zu müssen, dass er seine Verfilmung als Anti-Faschismus-Parabel verkleidete. Doch Pornographie war das recht eigentlich nicht, schon gar keine „schicke“. Beide Filme malen vom Geschlechtsverkehr ein so finsteres, unerfreuliches (in Pasolinis Fall sogar krankes und abstoßendes) Bild*, dass man im Rückblick ahnt, warum das Wort „Fuck“ ausgerechnet als Fluch im Sprachgebrauch Karriere gemacht hat. Im selben Jahr 1975 lief auch die Romanverfilmung „Die Geschichte der O“ in Paris an und lockte binnen einer Woche rund 100.000 Zuschauer an. Das war schon deutlich stimulierender. „Im Vergleich zur Romanvorlage ließ es Regisseur Just Jaeckin, der ein Jahr zuvor schon ‚Emmanuelle‘ weichgezeichnet hatte, harmloser zugehen“, erzählt Rainer Lübbert 50 Jahre später im „Rückspiegel“ des Magazins. „Während O im Buch am Ende den Tod wählt, rafft sie sich im Film zu einem letzten Akt des Widerstands auf.“ Und „selbst in den tiefsten Verliesen lagern Bärenfelle, weht ein Hauch von Chanel“.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2014/11/02/dudu/

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