„Momo“ und die staubigen Verpuffer

Aktuelle Filmkritik

Für die ARD-Kinderserie „Lemmi und die Schmöker“ wurden mit der damals üblichen kruden Bluebox-Technik Teile von Jugendbüchern verfilmt, damit wir vor dem Fernseher Lust bekamen, das jeweilige Buch komplett zu lesen. Der titelgebende Held der Serie war eine Stricksocken-Handpuppe, die als Bücherwurm auftrat – heute würde heute jeder sagen „Was für’n Scheiß“. Auf diese Weise kam ich in den Genuss der unvergesslichen „Momo“-Folge. Die bürokratisch auftretenden Herren von der Zeitsparkasse, die per Kostüm und Maske auf Schwarzweiß getrimmt waren, rauchten und waren derart zum Fürchten, dass ich es nie über mich brachte, mit dem Rauchen anzufangen.

In „Momo“, dem Film, um den es heute geht, wird erst gar nicht geraucht. Das wäre nach Meinung der schlichten Gemüter, die hier am Werk sind, wohl „unpädagogisch“. Grauenerregend ist der Film schon, wenn auch auf einer ungewollten Ebene. Kinder dürften sich im Angesicht dieses überzüchteten Gruselkitsches eher unverstanden und ratlos fühlen. Und Michael Ende braucht sich nicht mal im Grab umzudrehen, denn er würde sein Werk in diesem Produkt gar nicht wiederfinden. Dazu müsste es nämlich eine Handlung geben, eine Botschaft. Selbst Schauspielerei, die diese Bezeichnung verdient, sucht man hier vergeblich. Alexa Goodall als Momo ist ein mimikfreies, ausgekochtes Schickimicki-Früchtchen, dem man weder das bescheidene Hausen in einem Ruinenkeller abnimmt, noch dass sie sich überhaupt für ihre Mitmenschen interessiert. Die plumpen Satzbausteine, aus denen sämtliche Dialoge zusammengesetzt sind, lassen ihre Darstellung besonders armselig wirken. Momos Freund Gino kommt als sozialmedialer Hipster daher, der tatsächlich agiert, als habe er kein anderes Ensemblemitglied persönlich getroffen, sondern sei mit diesen erst in der Mischung zusammenkopiert worden. Und Martin Freeman alias Meister Hora, der unvermeidliche Stargast aus Hollywood, ist nicht nur wegen der dicken Klebekante seines Haarteils eine Lachnummer.  
Die international-vielsprachige Besetzung und die am PC generierten Hintergründe geben dem Film eine fröstelnde Ortlosigkeit. Die Szenen im Hauptquartier der Zeitdiebe, einer Art Eventlocation, sind kein bisschen anheimelnder als die in der Stadt oder im abendlichen Amphitheater. Die Bösewichte marschieren in Armeestärke auf, nur um dann wegen jedem Pups und Fliegendreck zu Staub zu zerfallen, ohne für Momo jemals eine wirkliche Gefahr darzustellen. Zur Not kommt ihre chronische Atemnot gerade recht, um sie von selbst zu verpuffen zu lassen.  

Wie sich das heute gehört, ist diesem Machwerk eine persönliche künstlerische Handschrift überhaupt nicht anzumerken. Es wirkt wie von einer KI ausgespuckt – und liegt damit absolut im Trend. Und doch ist „Momo“ ganz besonders vulgär und ärgerlich. 
Die vornehmste Pflicht eines Kinderfilms ist es, zu verzaubern. Das ist im Übrigen die Voraussetzung dafür, dass irgendeine Botschaft übermittelt werden kann, falls das denn gewünscht ist. „Momo“ versucht erst gar nicht, zu einem jugendlichen Publikum zu sprechen. Dieser Film ist so poetisch und märchenhaft wie ein Motorradunfall.

Die Kritik im Podcast zum Anhören: https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/momo-aktuelle-filmkritik
Außerdem ein Gespräch mit Viktor Hacker zum heutigen Filmstart von „A Big Bold Beautiful Journey“: https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/a-big-bold-beautiful-journey-aktuelle-filmritik

Dieser Beitrag wurde unter Film, Podcast, Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert