Eine Abkürzung zum Jazz (5): Der Swing (1930 – 1945)

betr.: Neuere Musikgeschichte

Diese Serie basiert auf meinem Unterricht „Musicalgeschichte“.

Wenn jemand sagt „Ich höre gern Jazz“, meint er damit genaugenommen ein 135jähriges sich ständig weiterentwickelndes Gebilde unterschiedlichster Stilrichtungen, die auf dem musikalischen Erbe der schwarzen US-Einwanderer aufbauen. Im Vertrauen: die meisten, die “Jazz“ sagen, meinen damit den „Swing“, jene Stilrichtung der Jazz-Geschichte, die die größte Breitenwirkung hatte, die letzte, die populär war, ehe der Rock’n’Roll den Jazz, das Musical und die Tin Pan Alley (siehe weiter unten) in eine Nische verbannte. Seither hat der Swing immer wieder Revivals erlebt, nicht zuletzt durch Frank Sinatras legendäres “Rat Pack“ und dessen diverse spätere Dünndruck-Ausgaben.
Und: zu keiner Zeit hat der Jazz imposanter ausgehen (jawohl: das Auge hört mit!): es ist die Zeit der Big Bands.

Als Erfinder dieses Klangkörpers gilt Fletcher Henderson, doch weitaus berühmter werden Bandleader wie Artie Shaw, Tommy Dorsey, Jimmy Dorsey, Count Basie, Duke Ellington und Glenn Miller. Nicht nur der Sound ist neu. Im Swing spielen nun erstmals schwarze und weiße Musiker Seite an Seite im gleichen Orchester.
Die Melodiegruppe wird aufgestockt: vier bis fünf Saxophone, drei bis vier Trompeten, zwei bis drei Posaunen. Die Klarinette verschwindet aus der Band, wenn der Chef sie nicht als Solist bewirtschaftet (wie Benny Goodman). Die Rhythmusgruppe bleibt einzeln besetzt: Klavier, Gitarre, Baß, Schlagze
ug.*
Die jeweilige Instrumentengruppe spielt stets geschlossen, von Abschnitt zu Abschnitt wechselnd. (Spielt also z.B. die Saxophon-Gruppe die Melodie einer Refrain-Reprise, so begnügen sich die Trompeten- und Posaunengruppen mit kurzen, rhythmisch verschobenen Einwürfen.) Baß und große Trommel spielen konstant alle vier Schläge. Die Improvisation ist jetzt nur noch dem jeweiligen Solo-Instrument gestattet – was den Vorteil hat, dass das Publikum nun einzelnen Musikern applaudieren kann. Die Tuttistellen oder die Begleitung der Solo-Improvisation wird allerdings präzise arrangiert.
Als handliche Version der Big Band etabliert sich das klassische Jazz-Trio aus Klavier, Kontrabaß und Schlagzeug.
Die „First Lady Of Jazz“ ist eine Sängerin, die dieser Stilrichtung zugerechnet wird: Ella Fitzgerald.

Nun wird es aber höchste Zeit zu erwähnen, WAS da eigentlich gespielt wird.
Das Repertoire stammt zum größten Teil aus den Broadwayshows (und deren großer Schlagerfabrik der „Tin Pan Alley“) und Film-Musicals. Die je 32 Takte dieser Songs (der „Standards“) bilden ein Repertoire, das im „Great American Songbook“ zusammenfindet und das in den sogenannten „Real Books“ gebündelt und von Jazzmusiker zu Jazzmusiker weitergereicht wird: handschriftliche (und später kopierte) Niederschriften der Refrains mit Akkordsymbolen, die die Grundlage für die Improvisation bildeten. (Jazzmusiker hassen das Abspielen von ausnotierten Arrangements.)

(Fortsetzung folgt)


* Mein Lieblings-Bandleader Harry James packte mitunter noch Streicher dazu: alles, was Ohren hatte, freute sich ein Loch in den Strumpf – nur die beinharten Jazz-Puristen wendeten sich mit Grausen. James setzte auch Sänger ein, die ebenso (namenlos) zur Kapelle gehörten wie alle übrigen Musiker – bis einer davon 1939 aus der Formation ausbrach und zum Star wurde: Frank Sinatra.

° Hierbei leistete mir das unverzichtbare Standardwerk von Joachim-Ernst Berendt große Dienste: „Das Jazzbuch“

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