Der beste Darsteller seiner selbst

betr.: Theo Lingen zum 36. Todestag

Der Charakterkomödiant Theo Lingen starb 1978 – für das Publikum überraschend, auf der Höhe seiner Popularität und Schöpferkraft. Auch für mich Halbwüchsigen war er ein vertrautes Gesicht, denn er trat regelmäßig in Unterhaltungssendungen auf, die um ihn herum gestrickt waren (heute würde man wohl „Specials“ dazu sagen, wenn es das noch gäbe). An die letzte davon erinnere ich mich besonders gern: „Es dirigiert: Theo Lingen“, eine Art unernste Einführung in die „Ernste Musik“. Er war aber auch als Schauspieler in Serien und Fernsehspielen zu sehen und regelmäßig zu Gast in den großen Fernsehshows jener Jahre: als Chansonnier bei „Musik ist Trumpf“, als Sketchpartner von Rudi Carrell – oder als Nachrichtensprecher bei „Klimbim“, der das Wort „Sport“ noch nicht „Spocht“ aussprach sondern mit hanseatisch scharfem S am Anfang. Und auch wenn man ihn nur hörte – in einer Trickserie mit Märchen aus Japan etwa – war das Fernsehprogramm für mich gerettet.

Nie werde ich seinen Einsatz als Comoderator einer Nostalgie-Gala vergessen. Der damals ungeheuer beliebte Hans Rosenthal war zuerst aufgetreten und kündigte seinen Kollegen nun mit einer jener Rätsel-Moderationen an, für die er bekannt war. Auf das Stichwort „Sie kennen ihn alle: Theo Lingen!“ ertönte sogleich ein beglückter näselnder Laut aus dem Off. Umschnitt auf den Bühnenhintergrund: ein gerührt händeringender Herr mit Erich-von-Stroheim-Frisur eilte in einem unnötig weiten Bogen dicht an der Kapelle vorbei, das Publikum schon voller Vorfreude im Blick. Als er endlich die Zielgerade einschlug, um neben Herrn Rosenthal zum Stehen zu kommen, hatte er sich schon einen gewaltigen Begrüßungsapplaus abgeholt – und diese theatralische Extrarunde hatte auch noch vollkommen bescheiden und unvermeidbar ausgesehen.

Theo Lingen war erkennbar ein Komiker der Alten Schule, aber gleichzeitig wirkte er vollkommen alterslos. Immer tadellos herausgeputzt, ohne geckenhaft zu sein, freundlich und zugänglich, aber niemals distanzlos – seine urbane Geselligkeit war vollkommen unangestrengt, geradezu graziös.

Sein Tod hinterließ mich untröstlich – die genannten Shows wurden so gut wie nie wiederholt, und die zahllosen Filme, die er in seiner langen Karriere gedreht hatte,  waren keine Lösung. Theo Lingens Stichwortgeber- und Butler-Rollen wirkten ungeheuer „um“ auf mich – und mehr noch das, was um sie herum geschah. Ich vermochte mich weder für seine musikalischen Lustspiele aus den Kriegsjahren zu begeistern noch für die knotendoofen Pauker- und Verwechslungsklamotten, die er in späteren Jahren drehte. (In diesen Genres fühlte ich mich von amerikanischen Produkten erheblich besser unterhalten.)
Besonders gern habe ich ihn Mitte der 70er Jahre im Vorprogramm von Laurel & Hardy erlebt. Mir war damals noch nicht bewußt, welcher Schindluder in der ZDF-Sendereihe „Lachen Sie mit Stan und Ollie“ mit dem großen Komikerpaar getrieben wurde – und Theo Lingen sicher auch nicht! (Über diesen Skandal wird noch an anderer Stelle zu reden sein …) So genoß ich seine behutsame Selbstparodie als Dozent hinter dem Pult, der mit ansteckendem Übereifer die Glanzzeit des Slapstick-Kinos heraufbeschwor. Ich genoß sie umso mehr, als er diese Parodie um Längen besser hinbekam, als die vielen, die ihn damals regelmäßig imitierten.

Von seinem Auftritt in der versunkenen Interview-Reihe „Das Profil“ kenne ich bis heute nur einen kostbaren Ausschnitt. Da Lingen nun in einer Großaufnahme abgebildet wurde, verkleinerte er seine typischen Gesten von Armeslänge auf Handbreite. Er sprach über seine schauspielerischen Anfänge auf dem Theater und wie ihm der damalige Zeitgeschmack in die Hände gespielt habe. Und obwohl es hier um eine ganz seriöse Sache ging – ich glaube, der Ausdruck „expressionistisch“ wurde gebraucht – wirkte sie wieder wie die reine Hexerei, diese Balance zwischen behaglicher Natürlichkeit und einer – ganz besonders präzisen – Parodie auf den urkomischen Theo Lingen.

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