„Im Auftrag des ZDF“ – Stan, Ollie und ich

betr.: „Väter der Klamotte“ live im Polittbüro, Hamburg

Noch berühmter als der Rest des Buches ist diese Passage aus dem Bestseller „Generation Golf“ von Florian Illies: „Mir geht es gut. Ich sitze in der warmen Badwanne, und zwischen meinen Knien schwimmt das braune Seeräuberschiff von Playmobil. Nachher schaue ich ‚Wetten dass ..?‚ mit Frank Elstner, dazu gibt es Erdnussflips. Niemals wieder hatte ich in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun.“
Als Angehöriger dieser Generation kenne ich das beschriebene Gefühl genau. Dass es bei mir eher Lego und Plastikant als Playmobil war, dass ich Chips lieber mochte als Flips und „Aus los geht’s los“ mit dem wagemutigen Blacky Fuchsberger cooler fand als das tutige „Wetten dass ..?“ – geschenkt! Außerdem fand der beschriebene magische Moment bei mir gar nicht am Samstag zur nahenden besten Sendezeit statt sondern am Freitag-Vorabend – und zwar dann, wenn der folgende Samstag ein schulfreier war.
Dann konnte ich noch unbeschwerter als sonst die Späße von Laurel und Hardy genießen, die man damals noch ungestraft „Dick und Doof“ nennen durfte. Oder die – meist homosexuell gefärbten – archaischen Solos von Stan Laurel, vor der Partnerschaft mit Hardy entstanden, die in der Serie „Männer ohne Nerven“ präsentiert wurden. Oder heute vollends vergessene Künstler wie Snub Pollard, Billy Bevan und Bobby Dunn in „Väter der Klamotte“. Ihnen allen gemein war die gelenkige Archivmusik von Fred Strittmatter (die jedes Mal passte, als wäre sie aufs Bild komponiert) und die im Alleingang von Hanns Dieter Hüsch gefertigte Synchronisation.

Kein Mensch wäre in jenen Tagen auf die Idee gekommen, die Hochachtung vor den flimmernden Komikergrößen (die man bei Hüsch allzeit heraushörte) als Aufruf zur Zurückhaltung zu deuten. Während Hüsch die Namen der Hauptdarsteller stets beibehielt* – ein Prinzip, das auf Laurel und Hardy zurückgeht, die sich in ihren gemeinsamen Filmen grundsätzlich mit dem bürgerlichen (Künstler-)Namen anredeten – hatten Chargen (also jene, die die Torte ins Gesicht bekamen) Namen wie Therese Jubelhose, Camillus Muhagel oder Trine Giftzahn – Bezeichnungen, die so ruchlos beknackt waren, dass man sie nicht mehr vergessen hat. Auch Beruf und soziale Stellung flossen mit ein: bei dem Millionär Max Fellrocker etwa, dem Appartementhausbesitzer Hubertus Sturmfrei oder bei Moische Tintenfinger, dem Buchhalter einer jüdischen Pfandleihe.

VDK
Immer schön auf die Geräuschrequisiten achtgeben! Einlaß bei einer Stummfilm-Live-Aufführung von „Väter der Klamotte“

William K. Everson erklärte die Mentalität dieser Filmemacher in seinem Buch „The Films Of Laurel And Hardy“, und er könnte damit auch die Eindeutschungsarbeit von Hanns Dieter Hüsch gemeint haben: “Über die Eigenheiten von rassischen und religiösen Minderheiten wie über Sex machte man sich hemmungslos lustig, und da alles gleichermaßen als Zielscheibe von Spott und Verhöhnung galt, kam das Gefühl einer gezielten Diskriminierung gar nicht erst auf. Alles wurde toleriert, wenn es nur komisch war. Und das war es meist.“

Slapstick – das ist schon in diesem Begriff angelegt – hat mit Bosheit zu tun, mit dem Wunsch, einen Hieb auszuteilen, der nicht körperlich verletzend ist, der aber die Würde des Kontrahenten möglichst gründlich zerstört. Es ist legitim, das grausam zu finden.
Everson stellt das als wichtigen Aspekt des Humors von Stan Laurel heraus, der der kreative Kopf hinter den Stan-und-Ollie-Filmen war: „Diese Komik der Grausamkeit (und Schmerz und Spott können sehr komisch sein) wurde (…) ein fester Bestandteil von Laurels Arbeit und blieb im Repertoire der Laurel & Hardy-Filme erhalten, auch dann noch, als die meisten anderen Komiker sie aufgegeben hatten.“
Dass Laurel in seinen Solo-Filmen ganz anders war, als wir ihn später mit Hardy erlebten, habe ich weiter oben schon angedeutet. Ich lernte ihn im freitäglichen Vorabendprogramm von dieser Seite kennen, und seine Abenteuer – sie zeigten ihn zumeist in fordernden Männerberufen wie Husar, Detektiv, Schatzsucher oder Holzfäller – fand ich oft noch komischer als die stummen Zweiakter mit seinem Partner (nicht zuletzt dank der angemessenen Vertonung).
Heute unfassbar: der zeitweilige Reihentitel „Es darf gelacht werden“ schloß sogar weibliche Klischees mit ein. Unvergessen Hüschs fistelstimmiger Ausruf: „Oh, un-er-hört! Sittenstrolche! Hilfe, Polizei!“ – der für Mr. Laurel und Mr. Hardy niemals etwas Gutes bedeutete.

1925, unmittelbar ehe er zu Hal Roach (und bald an die Seite Oliver Hardys) wechselte, drehte Stan als letztes Solo „Schiff mit Damenbedienung“ („Half A Man“). Er ist das effeminierte Söhnchen eines steinalten Fischer-Ehepaares und wird zur Marine eingezogen. Zum Abschied schmiert er seiner weinenden Mutter versehentlich den Lutscher in die Haare. Auf See hat er es nicht leicht: alle Matrosen außer ihm sind Damen. Sie fangen ihn ein, füttern ihn („Mir ist schlecht!“ – „Da muß man gleich tüchtig weiteressen!“) und wollen ihn dann auch noch erobern. Schließlich versenkt er das Schiff bei dem Versuch, ein Erinnerungsfoto an seine erste Seekrankheit zu schießen: „Wenn viele aufs Bild sollen, nimmt man natürlich viel Blitzlichtpulver!“ Als Stan sich ans Ufer gerettet hat, nehmen die Matrosen-Matronen die Verfolgung wieder auf …

Diese deutschen ZDF-Bearbeitungen wurden Mitte der 70er Jahre als historisch unsauber eingestuft (auch vom Sender selbst). Ihre Wirkung auf mich – und ich war nicht allein damit – dürfte der Absicht der alten Meister allerdings entsprochen haben. Hanns Dieter Hüschs „Half A Man“ verursachte mir den schlimmsten Lachanfall, den ich je vor dem Fernseher erlitten habe.

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* … wenn er einige davon auch merkwürdig aussprach. Aus Billy Bevan machte er Billy Büvong und aus Bobby Dunn Bobby Dünn.

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