betr.: 97. Geburtstag von Liberace
Für mich war der Klavier-Entertainer Liberace stets weniger ein Star oder etwa ein Musiker als vielmehr ein Horrorwesen – eher ein Kollege von Godzilla oder dem Ungeheuer aus der Schwarzen Lagune als von Frank Sinatra. In einer Zeit, in der es keine sichtbaren homosexuellen Vorbilder gab, war er die einzige offensichtliche Tunte. Mit seinem selbstverliebt grinsenden Pfannkuchengesicht unter der klebrig glitzernden Betonfrisur war er die Inkarnation jener bürgerlichen Vorurteile, vor denen man sich gerade als Coming-Out-Anwärter in der Provinz fürchtete. Seine Outfits boten einen Anblick, der sogar mir unangenehm auffiel – der ich mich für Bekleidungsfragen überhaupt nicht interessierte.
Und dann diese Musik!
Alles, was Pop und Klassik zu bieten hatten, vaporisierte Liberace zu einer Unzahl klimpernder Tonkrümelchen – selbst vor dem „Warschauer Konzert“, das ich tragischerweise sofort wiedererkannte, machte er nicht Halt.
Kurzum: mich entsetzte genau das, was ihn für ein gewaltiges Publikum, das vorwiegend aus älteren Damen bestand, so unwiderstehlich machte. Die hätten ihm auch seine Homosexualität mehrheitlich sicher nachgesehen. Doch Liberace ging damit recht verklemmt um, während Zeitgenossen wie Noël Coward ihre Veranlagung längst elegant in einem ironischen Dandy-Konzept auflösten.
1955 ereignete sich einer von Liberaces wenigen Filmauftritten. Wer hätte ihm abnehmen sollen, dass er mehr von seiner Partnerin wollte als ihren Hut?
Spaß gemacht hat Liberace natürlich auch mir. Mit Schmuck behangen wie ein New Yorker Weihnachtsbaum, pflegte er vor seine Fans hinzutreten, ihnen die teuersten Stücke vor die Nase zu halten und auszurufen: „Seht euch das an, meine Schätzchen! Das habt alles ihr bezahlt!“
Auf die unvermeidliche Journalistenfrage, ob ihm die eigene Seichtigkeit nicht selbst unerträglich sei, antwortete er: „Natürlich. Es ist schrecklich! Ich weine den ganzen Weg zur Bank!“
Vermutlich hat Liberace sogar seine trefflichste filmische Würdigung mit einem hübschen Kommentar bedacht. In der preisgekrönten Stephen King-Verfilmung „Misery“ foltert die irre Krankenschwester Kathy Bates einen Schriftsteller, den sie hoch verehrt und den sie dank eines Autounfalls nun wie ein Haustier in verschneiter Einöde gefangenhalten kann. Sie bricht ihm z.B. die Füße, damit er nicht wegläuft, sie zwingt ihn, ein fertiges Manuskript zu verbrennen, das ihr nicht zusagt, und – Das ist das Schlimmste! – sie spielt ihm ihre Liberace-Platten vor.