betr.: 114. Geburtstag von Ralph Richardson
Der erste Akt von Beethovens Neunter dämmert herauf, dazu sehen wir einen collagenartigen, grafischen Vorspann aus dem sich ein Rollstuhl herauskristallisiert: ein unheilverkündendes Requisit.
Im Laufe des folgenden Films wird immer wieder Beethoven zu hören sein (weiterhin Mozart, Berlioz und Rimsky-Korsakow), denn der reiche, tyrannische Charles Richmond hat in seinem prächtigen Anwesen unweit Londons überall Lautsprecher installiert, die ihn zu jeder Zeit auf Wunsch mit klassischer Musik versorgen. Seine übrigen Vorlieben sind weniger schöngeistig: er quält seine schwarzen Bediensteten, die er schlechter behandelt als seine Hunde, und demütigt seinen Neffen, einen bei ihm angestellten Lebemann, dessen Vater er in den Selbstmord getrieben hat, um sich die Mutter zu angeln. Nun ist diese Frau nicht mehr am Leben, der alte Richmond sitzt im Rollstuhl, und sein Neffe Anthony verachtet ihn und sinnt auf Rache. Sorgfältig konstruiert er ein Komplott, für das ihm nur noch eine Person fehlt. Die Geschichte des Films beginnt, als diese endlich gefunden ist …
Praktisch der komplette Film ist ein Duell zwischen Sean Connery, Gina Lollobrigida und Ralph Richardson, die einander fast ununterbrochen belauern. Der Betrachter weiß nie so recht, wen er nun am genauesten im Auge behalten sollte, und diese Herausforderung ist eines der zentralen Vergnügen bei der Sache.
Der legendäre britische Bühnenschauspieler Ralph Richardson liefert hier nach „Die Erbin“ (1949) ein weiteres Portrait eines seelisch verrohten Familienpatriarchen ab, das etwas zu komplex ist, um es sich damit gemütlich zu machen, es als einfache Schurkenrolle abzutun.
„Woman Of Straw“ ist ein dichtes, abgründiges Kammerspiel, einer der besten britischen Thriller der (an guten britischen Thrillern reichen) 60er Jahre und ein Geheimtipp. Die zeitgenössische Kritik wie auch die Sekundärliteratur sprechen fast durchgehend abfällig über ihn. Der „Motion Picture Guide“ bringt die allgemeine Stimmung auf den Punkt: „Keiner der Akteure hat einen Orden verdient“. Selbst die spitzfindige und cineastenfreundliche „TV Spielfilm“ kommt zu dem unbegreiflichen Urteil, ihn erst „in der zweiten Hälfte“ „richtig spannend“ zu finden.
Ein Grund, warum der Film vermutlich so bald nicht wieder in Fernsehen laufen wird, könnten die Szenen sein, in denen Richardson die ihm dienenden „Neger“ in den Schmutz zieht – auf eine Weise, wie sie sich in Kolonialistenhaushalten der damaligen Zeit durchaus abgespielt haben wird. Diese Bediensteten werden ausdrücklich unserer Solidarität anempfohlen, ihre Lage führt zu einem heftigen Streit zwischen zwei der Hauptfiguren, aber mit solchen Zwischentönen ist die heutige Political Correctness heillos überfordert.
„Die Strohpuppe“ von Basil Dearden entstand in den Jahren von Sean Connerys Durchbruch als James Bond. Schon seit dem ersten, noch eher unauffälligen Beitrag dieser Reihe war Connery darauf erpicht, Rollen anzunehmen, die als Kontrapunkt zu seinem Agentenkrimi-Image funktionierten. Das führte zu einer ungemein skurrilen und insgesamt sehr sehenswerten Filmographie. Von diesem fanatisch gepflegten Kriterium der Rollenwahl ließ der Schauspieler erst zwanzig Jahre später ab, nachdem er in „Sag niemals nie“ bei guter Laune den eigenen Bond parodiert hatte. Als 007-Fan könnte einen dieses Portrait eines ruchlosen Erbschleichers tatsächlich ein wenig irritieren, doch immerhin trägt Sean Connery hier die selbe weiße Anzugjacke wie in der Vortitelsequenz zu „Goldfinger“. Im Innenfutter sind die Initialen der Filmfigur Anthony Richmond, „A. R.“ eingenäht.