betr.: Martin Schulz / SPIEGEL Nr. 14/2017
In der aktuellen SPIEGEL-Ausgabe widmen Volker Weidemann und Nils Minkmar ein ganzes Interview mit Martin Schulz dessen Vergangenheit als Buchhändler und der Rolle, die das Lesen noch heute für ihn spielt. Das ist nicht nur eine originelle Annäherung an die noch immer recht geheimnisvolle politische Figur Martin Schulz, es dürfte auch die vorerst letzte Gelegenheit sein, ihm Fragen zu seinen Lesegewohnheiten zu stellen, ehe sich die Antwort einbürgert: „Ich komm ja gar nicht mehr dazu!“
Der Leser erhält nebenbei eine Menge Tipps für den bevorstehenden Lesesommer, und ein Regalmeter der Schulz-Bibliothek wird sogar abgebildet.
Bei der Lektüre dieses Gesprächs fiel mir ein Fernsehauftritt von Martin Schulz ein, sein Antrittsbesuch als designierter SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat in einer Talkshow.
In dieser Sendung ging es gleich zu Beginn ums Lesen, genauer: ums Vorlesen. Um die Unterhaltung in Gang zu bringen, bat Anne Will ihren einzigen Gast, einen Auszug aus Sigmar Gabriels STERN-Interview vorzutragen, in dem die Schulz-Bombe geplatzt war.
Schulz wirkte etwas überrumpelt („Soll isch dat jetz vorlesen, oder wie?“), was sicher nicht die Absicht der Moderatorin gewesen war, aber nun kamen beide nicht mehr aus der Nummer raus.
Schulz, offensichtlich kein geübter Prima Vista-Leser, mogelte sich ganz anständig durch: er las jeden Satz zuerst im Stillen, dann laut, wodurch Pausen entstanden, die man auch für Andacht angesichts der literarischen Vorlage halten konnte.
Das könnte bedeuten, dass Martin Schulz ein ehrlicher Redner ist, der es nicht gewohnt ist, Unverinnerlichtes abzulesen. Ronald Reagan, der alte Halunke, galt übrigens seinerzeit als der beste Cold Reader Washingtons.