betr.: „Schatten auf dem Grab“ von Richard Corben
Im aktuellen Comic-Angebot kam es dieser Tage zu einem Wiedersehen, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Nachdem ich im ersten Band eines Buches über das deutsche „Schwermetall“ (dazu bald mehr an dieser Stelle) soeben daran erinnert worden war, was mir der Comic-Künstler Richard Corben im Realschulalter bedeutet hat, fiel mir nun ein aktuelles Buch von ihm in die Hände, das seine zuletzt entstandenen Arbeiten für US-Horrormagazine im Sammelband „Schatten auf dem Grab“ vereint. Manche Künstler werden im Alter reifer und verfeinern ihren Stil, andere überleben ihre Kreativität. Corben ist exakt in der gleichen Hochform wie vor 35 Jahren.
Über einen Mitschüler kam ich erstmals mit „Schwermetall“ in Berührung, diesem „Comic-Magazin für Erwachsene“, bei dem ich ganz selbstverständlich davon ausging, es mit einer Übertragung aus dem Amerikanischen zu tun haben. Dass dessen Vorläufer „Heavy Metal“ seinerseits einen französischen namens „Métal Hurlant“ hatte, wusste ich noch nicht, dass außer Corben fast alle hier repräsentierten Künstler Franzosen waren, fiel mir zunächst nicht auf.
Diese französischen Künstler – vor allem Moebius*, Caza** und Druillet – haben sich mir augenblicklich und nachhaltig eingeprägt. Aber Corben war völlig anders. In seiner Neuordnung der menschlichen Anatomie, der dynamischen Plastizität seiner Zeichnungen erinnerte er mich sogleich Jack Kirby***, doch – apropos „für Erwachsene“ – kam hier noch das sexuelle Element hinzu. Seinen Kollegen hatte er außerdem etwas voraus, was auf Anhieb banal erscheint, aber ich bitte darum, es eine Weile wertfrei wirken zu lassen: Corben war der einzige, der sich nicht scheute, in aller Beiläufigkeit auch das männliche Geschlechtsteil mit abzubilden. In erotischen Darstellungen (Filmen, Comics, purem Schweinkram …) wird seit jeher auf dieses für jeden heterosexuellen Geschlechtsverkehr unerlässliche Organ (un)möglichst verzichtet, und immens sind allweil die Verrenkungen der Pose und des Bildausschnitts, um es nicht zeigen zu müssen. (Ralf König etablierte sich in den 80er Jahren als große Ausnahme.) „Den“ – Corbens bis heute wichtigster Serienheld – trug zwar ein Cape, war aber ansonsten nackt, wie es seiner archaischen Welt der „Sword and Sorcery“ zutiefst entsprach.
Natürlich war der unbekümmerte Umgang mit dem Dödel nicht Richard Corbens einziges Alleinstellungsmerkmal. Seine vierfarbigen Zeichnungen wirken heute so, als hätte jemand die 3D-Animation auf dem Papier vorweggenommen. Aber auch in Schwarzweiß – mit festem Strich und wahlweise Rastern, Schraffuren oder harten Kontrasten – rücken seine Zeichnungen in einer geradezu übergriffigen Weise an den Leser heran.
„Schatten aus dem Grab“ ist in Schwarzweiß gehalten. Im Anhang des Buches sehen wir ein wenig bunt. (Aus dem besprochenen Band, dort in deutscher Übersetzung)
Nun erfahre ich also, dass es dem Meister – dessen Arbeiten ich seither nur im Antiquariat angetroffen habe – nach so langer Zeit noch immer prächtig geht. Die vorliegende Sammlung kurzer Gruselstories folgt der von Edgar Allan Poe aufgestellten Regel, eine Geschichte sollte nach Möglichkeit kurz genug sein, um sie in einem Zug konsumieren zu können, weil eine Unterbrechung die Atmosphäre ruinieren würde.
Noch nie hat sich das oft strapazierte Motiv des rachsüchtigen Kadavers in solcher Vielfalt vor mir ausgebreitet. Corbens erzählerische und gestalterische Variationen des Vergeltungsthemas sind so unverschämt und unerwartet, dass man das Gefühl einer Genreparodie (im schönsten Sinne!) nicht loswird. Seine Kombination aus hartem Strich und verbeultem Fotorealismus setzen sich über die Gesetzmäßigkeiten grafischen Darstellung schier hinweg. Es ist ein himmlisches Vergnügen.
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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2016/12/22/die-schoensten-comics-die-ich-kenne-9-the-long-tomorrow/
** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2017/04/28/die-schoensten-comics-die-ich-kenne-13-der-floetenspieler/
*** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2017/01/14/der-raum-ausstatter/
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