betr.: „Charlie Chaplin – Der Komponist“ (noch bis zum 31.1. in der Mediathek zu finden)
Diese Dokumentation gehört zu den regelmäßigen Gründen, den Sender arte zu lieben: ein Thema, das so ziemlich allen etwas sagt, wird von einer neuen Seite beleuchtet.
Diesmal geht es um eine oft übersehene Qualität des einstigen berühmtesten Mannes der Welt Charlie Chaplin, der mit dem Siegeszug des Tonfilms zum letzten Pionier der Stummfilmmusik wurde. Zuerst vertonte er seine beiden letzten Stummfilme, die in der frühen Tonfilmära herauskamen. Dann ab 1942 und bis zu seinem Tode nachträglich all seine großen Stummfilme, beginnend mit „Goldrausch“, für den er auch einen Off-Text einsprach, und natürlich die späten „Sprechfilme“.
Beim Lob dieser Sendung kann ich mich kurz fassen: sie macht einfach alles richtig – besonders die Wahl der Zeitzeugen und Spezialisten, was in einem solchen Fall mehr als die halbe Miete ist.
Nur zwei Dinge fand ich betrüblich, die hier kurz geschildert werden sollen.
Zunächst wundert mich, warum die Autoren nicht auf das launige Interview des heutigen Soundtrack-Klassikers und damaligen Wunderkindes David Raksin zurückgegriffen haben, eines Mitarbeiters an „Modern Times“; es wurde einmal im Bonusprogramm des Films veröffentlicht. Sein Fehlen rührt an ein grundsätzliches Problem, das nicht nur diese Sendung betrifft, sondern die meisten TV-Portraits: fast immer beschränkt man sich da auf lebende Gesprächspartner und verzichtet auf die historischen O-Töne, die überreich in den (öffentlich-rechtlichen) Archiven lagern.
Gut, das lässt sich verschmerzen.
Weitaus irritierender fand ich dies: bis „Modern Times“ wurden wir minuziös informiert, angefangen beim frühesten musikalischen Gepräge des großen Autodidakten und Nicht-Notenlesers Chaplin in der englischen Music Hall.
Als das Ende der 52minütigen Sendezeit naht, ist plötzlich Schluss. Es folgt ein rascher Abriss seiner letzten 41 Lebensjahre mit kurzer Erwähnung der verbleibenden Filme und ein paar Lebensdaten, dann geht die Doku beinahe unvermittelt in den Abspann über.
Die überaus spannende Entwicklung, die „Charlie Chaplin – Der Komponist“ im Tonfilm genommen hat, fällt aus.
Nichts über seine Wagner-Zitate im „großen Diktator“, für den er weiterhin z. B. einen drolligen Mussolini-Marsch verfasste. Nichts über Chaplins hochinteressantes Underscoring für den verstörenden „Monsieur Verdoux“, bei dem ihm der junge Emigrant Georg Kreisler geholfen hat. Nichts über die hochambitionierte Partitur für „Limelight“ mit ihren Vaudeville-Songs und einer umfassenden Ballettmusik. Auch über „A King In New York“ hätte es allerlei zu berichten gegeben – hier erklingen zwei persiflierende Songs, die der Meister selbst im Off vorträgt, einer seiner instrumentalen Evergreens sowie eine Ouvertüre, die gekonnt mit der US-Nationalhymne spielt. Wir erfahren nichts über Chaplins unerfüllten Wunsch, eine Oper zu schreiben, die er schließlich für seine letzte Tonfilmmusik „A Countess From Hong Kong“ ausgeschlachtet hat.
Dass Charles Chaplin bis zuletzt an der instrumentalen Nachvertonung seines stummen Repertoires gearbeitet hat, wird immerhin erwähnt, wenn die Aufzählung auch sein einziges Drama auslässt – „A Woman Of Paris“, dessen Musik den Abschluss seines Lebenswerkes bildet. Auch über diese Restaurationsbemühungen hätte es noch viel zu berichten und vor allem zu spielen gegeben.
Vielleicht hat arte ja ein Einsehen und gönnt diesem prachtvollen Film noch einen zweiten Teil. Er wäre mühelos zu füllen.
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* Siehe und höre dazu auch https://blog.montyarnold.com/2018/12/25/12147/
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