Warum wir böse sind

Wenn sich Bösewichte erklären, geschieht dies meistens in einer von zwei Varianten. Entweder der Schurke ist am Ende. Dann wird er – wenn ihm noch Zeit genug bleibt – etwas über seine moralische Verfasstheit sagen. Zumeist ist dies eine Rechtfertigung. Sie kann in Gestalt eines verzweifelten Aufschreis erfolgen – unvergessen: Peter Lorres „Weil ich muss!“ im Finale von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ – oder gefasst und selbstbewusst – Charlie Chaplin auf dem Weg zur Guillotine in „Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris“*.

Ist der Bösewicht noch nicht besiegt und gibt er diese Erklärung also ganz freiwillig und bei ungetrübter Laune ab, im trügerischen Hochgefühl der Unbesiegbarkeit, bleibt den Autoren Spielraum für das ganz besonders große Kino – ohne Beispielen wie den Vorgenannten diese Qualität völlig abzusprechen zu wollen. Aber der Vorzug dieser zweiten Variante ist, dass sie uns persönlich noch näher kommt. Und die Seite, von der sie sich nähert, wirkt frisch und unerwartet. Auch dann, wenn wir den Film schon gesehen haben.
Meistens werden diese Worte nicht an eine größere Gruppe von Zuhörern gerichtet – wie die Tribunale in „M“ und „Monsieur Verdoux“ – sondern zu einzelnen oder wenigen Personen gesprochen, was ihnen zusätzliche Eindringlichkeit und Intimität verleiht.**

Als der „geistig seekranke Unterwasser-Onassis“ Curd Jürgens in „Der Spion, der mich liebte“ glaubt, seinen Erzfeind James Bond erledigt zu haben, sagt er etwas, wovon wir im Jahre 1977 nur ahnen konnten, wie verdammt wahr es ist (und schon das ließ unsere Haut knistern): „Unsere Lebensweise, unsere Zivilisation ist korrupt und dekadent. Unaufhaltsam zerstört sie sich selbst. Ich beschleunige lediglich diesen Prozess. Dafür nehme ich gerne das Urteil der Nachwelt in Kauf!“

„Sie kennen ja diese Welt“

Wie sich das gehört, findet sich ein besonders köstliches Beispiel der heiteren Selbstanalyse eines Schurken in „Breaking Bad“. Eine der liebenswürdigsten Nebenfiguren im Ensemble dieser an unwiderstehlichen Querköpfen reichen Serie ist der Drogenkoch Gale Boetticher. Der Held und Oberschurke Walter White muss sich doch wundern, was so nette Leute wie ihn und diesen gepflegten Nerd in ein High-Tech-Drogenlabor verschlagen hat. Gale erklärt uns: „Es gibt Verbrechen und es gibt Verbrechen. Ich bin überzeugter Libertarist. Was Erwachsene wollen, das wollen Sie haben. Und wenn ich es Ihnen nicht liefere, dann besorgen sie es sich woanders. Bei mir bekommen sie wenigstens genau das, wofür sie bezahlen. Ohne Zusatz von Toxinen oder Streckmitteln. Ich habe meinen Weg genauso gemacht wie man es tun sollte, an der Uni an meinem Doktorat gearbeitet, mit staatlichem Stipendium. Ich war auf dem besten Weg. Hab mich verbogen, bin in die richtigen Ärsche gekrochen, habe mich mit all diesen nicht-chemischen Dingen beschäftigt, die dann auf einen einstürmen. Sie kennen ja diese Welt. Das ist nicht das, was ich tun wollte. Ich liebe das Labor. Denn da ist immer noch alles Zauberei, nicht wahr?“
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* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2015/09/05/chaplins-bester-tonfilm/
** Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2018/01/26/ixen-fuer-anfaenger-6-sprechen-fuer-software-induktion/

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