Tausend Gesichter minus eins

betr.: 99. Geburtstag von Martin Hirthe

Es gab eine Zeit – sie liegt etwa 40, 50 Jahre zurück -, da wurden die besten Synchronsprecher spartenübergreifend eingesetzt: in dramatischer Filmkunst, im Popcorn-Kino, im Fernsehen und in Trickfilm. Die deutsche Stimme von Clark Gable war auch die des Tigers Shir Khan im „Dschungelbuch“. Der das Glück suchende Herr Rossi klang wie Karl Malden aus „Die Straßen von San Franzisco“ und wie eine Unzahl älterer Herren in sämtlichen Genres.
Solche Vielfalt bot die Möglichkeit, uns eine enorme Wandlungsfähigkeit zu präsentieren.

Der in der Schweiz aufgewachsene Pankower Martin Hirthe war der Stammsprecher für Gregory Peck. Sein solider, ein wenig humorloser Sound passte hervorragend zu diesem Filmstar, der auf grundanständige Ehrenmänner abonniert war und dessen Motorik in den späteren Jahren etwas hölzern wirkte. Doch Martin Hirthe tat und konnte auch alles andere, ohne dass er sich je hörbar verstellt hätte. Er synchronisierte eine Unzahl harter Kerle des Kinos und zählte zu den Kollegen, die im Wechsel den hintergründigen Komiker Walther Matthau betreuten. Außerdem war er die Idealbesetzung für Foghorn Leghorn, den doofen Gockel aus den Warner-Cartoons, aus dessen Schnabel die Ernsthaftigkeit der Stimme eine besondere Komik entfaltete.

Die Tausendsassas dieser Generation waren auch im Hörspiel tätig, traten aber selten vor die Kamera. Wer die Gesichter zu diesen Stimmen kennenlernen wollte (und die Theaterkarrieren ihrer Besitzer verpasst hatte), fand und findet viele von ihnen in der Krimiserie „Der Kommissar“ (1969-1976). Martin Hirthe trat hier nicht in Erscheinung, versuchte sich aber ab 1975 als Berliner Tatort-Kommissar. (Die SfB-Beiträge dieser Reihe waren eine weitere Fundgrube für Synchron-Fans.) Nach drei Folgen war Schluss. Ironischerweise war Hirthes wirkliche Erscheinung die einzige, die auf dem Bildschirm nicht besonders gut zu ihm passte. 

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