Durch die Hintertür zum großen Kino

betr.: 105. Geburtstag von Georg Thomalla

Unter jüngeren Mediennutzern und –schaffenden ist es Ehrensache, die deutsche Synchronisation generell zu verschmähen. Kameraleute, Regisseure, Schauspieler unter 35 beeilen sich stets, (ungefragt) darauf hinzuweisen, dass ihnen selbstverständlich nur die Originalfassung ins Haus kommt.
Einer der schönsten Gründe, diesen kategorischen Imperativ für einen Irrtum zu halten, ist Georg Thomalla.

So sah Georg Thomalla eigentlich immer aus (lks., Qulle: Youtube / Pidax Medien) und so in einem anderen Leben (r.; Quelle: Oldthing, Internet-Portal für historische Autogrammfotos).

Georg Thomalla war einer der Lieblingsschauspieler meiner Oma mütterlicherseits (ebenfalls aus Oberschlesien), und als ich klein war, war er häufig im Fernsehen zu erleben: in angestaubten Nachkriegs-Lustspielen und aktuellen Boulevardklamotten für das Fernsehen, die aber keine Minute neuer oder frischer wirkten. Sein Spiel schien immer ein klein wenig übereifrig, doch das täuschte. Ich hatte nie das Gefühl, dass er übertreibt; es sah eher so aus, als kämen die anderen nicht richtig aus sich heraus. In diesem generell zur Outrage neigenden Umfeld war das ein bemerkenswerter Effekt … Thomalla hatte sich nie Schauspielunterricht leisten können und sein Handwerk auf der Schmiere gelernt.

Georg Thomalla war ein Star der leichten Muse und spielte auch im „Kabarett der Komiker“, aber im Grunde hatte man weder für seinen schrägen Personalstil noch für seine Subtilität eine rechte Verwendung. Wie so viele seiner Schauspielerkollegen, die ihr Talent in Heimatfilmen, Reihenkrimis oder im neuen deutschen Sozialarbeiterkino vergeuden mussten, versandete auch er im Unterhaltungsbegriff der frühen Bundesrepublik.

Er entkam dieser Klemme zumindest stimmlich. Fast von Anfang an und bis zum Ende war er der Stammsprecher des legendären Charakterkomödianten Jack Lemmon, der irgendwann beschloss, auch ernste Rollen zu spielen und dem das Publikum so andächtig wie begeistert auf all seinen Wegen folgte. Die beiden alterten gemeinsam (oder sagen wir parallel – Thomalla war fast auf den Tag genau zehn Jahre älter), bekamen etwa zur selben Zeit ihr Gebiss eingesetzt (Lemmon das hochwertigere, Thomalla das deutlicher hörbare) und verschwanden quasi gemeinsam von dieser Welt. Thomalla ist im Hauptberuf Schauspieler geblieben, doch nach seiner Mitwirkung in einer Kinoklamotte, die auch von seinen Freunden als Tiefpunkt deutschen Filmschaffens anerkannt wurde, war seine Kinokarriere Ender der 70er de facto beendet. Danach spielte er noch Boulevardtheater und hat gelegentlich synchronisiert. Besonderen Eindruck machte er auf mich in „Lolita“ als deutsche Stimme von Peter Sellers, der hier seine abgründigste (und beste) Rolle spielt.

Georg Thomalla war der Inbegriff des Synchronschauspielers. Er brachte die Kunst von Jack Lemmon näher an mich heran, als es das Original vermochte. Und er tat das ganz im Dienste des Schauspielers, ohne ihn neu erfinden oder übertrumpfen zu wollen. So etwas gelingt nur jenen, denen ihr Können erlaubt, ohne Furchtsamkeit und Anstrengung zu agieren. Thomalla konnte am Mikrofon eine Sphäre bedienen, die in der Amüsierkultur der deutschen Nachkriegszeit nur als Import zu haben war.

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