Die Aufblende (5)

Fortsetzung vom 9. April 2020

„Also! Was meintest du damit“, sagte einer der Musiker. „Womit?“ fragte ein anderer. Ein dritter pfiff im Hintergrund und räumte irgendwelche Sachen zusammen. Eine Bierflasche wurde geöffnet. „Eh‘ wir anfingen zu spielen, hattest du mir doch gerade von deiner letzten Session mit den Forevers erzählt.“ – „Ach das. Du … äh … nichts weiter. Ich hab mich einfach verquasselt. Vergiss es!“ Doch das wollte der Kollege nicht. „Vergessen? Na hör mal! Einen erst neugierig machen und dann den Schwanz einziehen!“ – „Also schön, pass auf! Nach dem ersten Durchlauf kommt Nina also auf mich zu …“ – „Nina! Wir reden wirklich von der selben Nina? Von der Nina!“ – „Nu‘ quatsch doch nicht dazwischen! Willst Du’s wissen oder nicht? Nina, die Rock-Röhre mit den großen Titten, die alle Preise gewonnen hat, die es in unserer Branche gibt!“ … ein voyeuristisches Röcheln war im Hintergrund zu hören. „Also, sie kommt auf mich zu und fährt ihre dunkelrotlackierten Fühler aus. Und was glaubst du, wo sie mir hingreift? …“

Ich bebte vor Andacht! Gleich bei meinem ersten Experiment hatte ich mitten hineingelangt in den glitzernden, übelriechenden Napf voll Sex & Drugs & Rock’n’Roll!
Ich war so aufgeregt, dass ich mit meinem Ellenbogen die Schere berührte, die auf dem Tisch lag. Sie rutschte von der Tischplatte und fiel scheppernd in die Ecke.
Die Unterhaltung verstummte.
„Was war das? Hast du das auch gehört?“ tönte es aus dem Kopfhörer?
„Ja, so ein komisches Klötern … Heee! Dommie! Warst du das?“ – Die Frage richtete sich offensichtlich an den Tonmeister, gegen den ich gerade so siegreich angepegelt hatte, aber der war ja definitiv unschuldig. Ich hielt die Luft an. Zu dumm, dass mir dieses Missgeschick passiert war. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass mich die Musiker auf der Aufnahme auch hören können.
„Scheiße, wir werden abgehört!“ sagte jemand nach einer spannungsvollen Generalpause.
„Na logisch werden wir abgehört! Das ist ein Tonstudio, ihr Superhelden!“ antwortete eine Stimme, die ich noch nicht kannte, vermutlich die des Musikers, der schon eingepackt hatte.
„Das meine ich nicht. Da hört einer mit! Heee, wer ist da in der Leitung?“
Woher wusste der Kerl, dass ich da war? Wie hatte er das erraten? Das war doch absurd! Der Lärm meiner Schere hätte doch alles Mögliche sein können, irgendeine Störung, was weiß ich …?
„Hey! Ich hab dich was gefragt!“
Ich musste blitzschnell eine Entscheidung treffen. Sollte ich mich zu erkennen geben? Darauf war ich nicht vorbereitet?
„Melde dich endlich, du Feigling!“
„Hallo!“ rief ich, ohne einen klaren Gedanken gefasst zu haben.“Mein Name ist Hanno Bindewald! Ich habe mir erlaubt, euch … Ihnen zuzuhören … bei Ihrem Stück … ich bin nämlich ein großer Fan von Ihnen und … habe alle Ihre Platten! Also die ganzen CDs … Das war toll, was Sie da gerade … gespielt haben.“ – Mist! Wo hatte ich bloß das Cover hingeschmissen?
„Verdammt! Du hast recht! Da hat wirklich jemand zugehört!“ – „Ich glaub, ich spinne! Wo steckst du? Komm raus, du Ratte!“
Ich bin mir in meinem ganzen Leben noch nie so dämlich vorgekommen. Ich fühlte mich, als wäre ich beim Einbruch in eine Wohnung von Heino erwischt worden und hätte ihn um ein Autogramm gebeten. Ich schämte mich so irrsinnig, dass ich begann, Kaugummisoße zu schwitzen.
Aus dem Kopfhörer vernahm ich eine erregte Diskussion, aus der ich die Satzfetzen „Spionage“, „unser neues Album“ und „dahinter stecken doch bestimmt die Schweine von Sleestak-Records“ heraushörte. Entsetzt riss ich mir die Hörer herunter und hieb wild auf das Pult, bis ich den Ausschaltknopf getroffen hatte.
Ich floh aus dem Zimmer, griff meine Jacke und den Wohnungsschlüssel und lief hinaus auf die Straße.
Ich weiß nicht, wie lange ich vor dem Haus herumgelungert bin. Schließlich verzog ich mich in eine Kneipe in der Nähe.
Es dauerte bis weit nach Mitternacht, bis ich mich wieder nach Hause zurücktraute.
Als ich mir die Bettdecke über den Kopf zog, hörte ich mich immer wieder sagen: „Ich bin ein großer Fan von Ihnen!“
Meine Stimme zitterte wie die eines pubertären Idioten. Was für ein erniedrigendes Schauspiel!
Fröstelnd vor Scham fiel ich einen unruhigen Schlaf.

ENDE

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