betr.: „Der Tod in Venedig“ und die begleitende Dokumentation „Der schönste Junge der Welt“ gestern abend auf arte
Mein Ritual, beim Aufstehen und vor dem Zubettgehen Nachrichtenmagazine im Radio laufen zu lassen, habe ich einstweilen ausgesetzt. Die Berichterstattungen aus Glasgow sind zuviel für mich.
Doch der naheliegende Eskapismus – wie wär’s mit einem alten Film? – trieb mich gestern abend nur umso tiefer hinein in menschliche Inkonsequenz, Moder und Endzeitstimmung. Ungewöhnlicherweise verfolgte ich einen Film im Fernsehen, ganz linear und altmodisch. Die Literarturverfilmung „Der Tod in Venedig“ beschwor zwar weniger den Weltuntergang als den der Menschheit herauf, aber aus der Corona-Krise wissen wir ja, dass sich der Planet mit einer Seuche allenfalls eine trügerische Verschnaufpause verschafft.
Die anschließende Dokumentation über den heimlichen Hauptdarsteller des Films, den blonden „Todesengel“ Björn Andresen, bot mir dann den eigentlichen Thrill meines Fernsehabends. Der 15jährige Schwede wurde damals, Ende der 60er Jahre, im Rahmen einer internationalen Casting-Operation durch den Starregisseur Luchino Visconti ausgewählt, die hier in Originaldokumenten präsentiert wird. Die Testaufnahmen mit dem Jungen, der sich vor der Jury den Pullover ausziehen muss, und vor allem die Tonspur dazu – man redet über ihn in der Dritten Person, eher wie über einen Gegenstand – sind eine beklemmende Mischung aus Landwirtschaftsmesse und Sklavenmarkt. Fast noch verstörender fand ich die Reportage von den Filmfestspielen, in der Visconti seinen „Schützling“ im Habitus eines alten Mafia-Paten der Presse hinhält.
Die Dokumentation „Der schönste Junge der Welt“ machte Viscontis Klassiker zum Vorprogramm.
Und heute abend wieder Glasgow? Nein, ein andermal vielleicht …