Botschafter der Angst – Fantomas in Moskau

Der französische Filmkomödiant Christian Clavier erzählte dieser Tage in einem Interview, Frankreich habe nach seiner Einschätzung kulturell weitaus mehr mit Russland gemein als mit den USA. Diese untadelige Feststellung ist in der gegenwärtigen Stimmung durchaus eine mutige Einlassung.
In der Zeit des Kalten Krieges, die einen Großteil der Biografie des fast 70jährigen Schauspielers abdeckt, genoss Frankreich in der Sowjetunion in der Tat ein positiveres Image als der Rest des Westens. Immerhin war das Land 1966 aus der NATO ausgetreten.
Aber kann es über eine Barriere wie den Eisernen Vorhang hinweg wirklich zu einer „Freundschaft“ zweier Nationen kommen? Die Menschen wären wohl dazu in der Lage gewesen, ihre Anführer haben es immerhin versucht.

Kurz nach dem NATO-Austritt reiste Charles de Gaulle in die Sowjetunion, wo er von jubelnden Menschen begrüßt wurde. Die Staatsoberhäupter vereinbarten eine Intensivierung des Kulturaustauschs. Der Osten schickte seine neueste Prestige-Produktion: „Anna Karenina“ von Alexander Sarchi. Frankreich revanchierte sich mit den ersten beiden „Fantomas“-Komödien mit Louis de Funès (- der vierte Film hätte „Fantomas in Moskau“ geheißen, wenn der Autor der Romanvorlage eine Fortsetzung der Reihe nicht gerichtlich verhindert hätte). Diese Filme, in denen sowohl die französische Lebensart als auch der unbestrafte Spott gegen Obrigkeiten zu bestaunen sind, wurden vom Publikum begeistert aufgenommen – zumal ihm die James-Bond-Filme, die hier parodiert werden, noch unbekannt waren. Auch sowjetische Filmemacher ließen den maskierten Schurken Fantomas in ihren Arbeiten auftreten und achteten darauf, dass er dem Vorbild möglichst ähnlich sah.

Der Bösewicht prägt die russische Popkultur: Beispiele aus dem Kinderfilm, dem Thriller und dem Theater

Doch so leicht lässt sich Demokratie nicht exportieren, nicht mal aus Jux. Im Gefolge der Filme stellten die Ordnungskräfte einen Anstieg der Jugendkriminalität fest: Vandalismus, Diebstähle und Graffiti mit antisowjetischen Parolen und Fantomas-Signatur. Auch plumpe Trittbrettfahrer – Einbrecher, die sich mit Strumpfhosen über dem Kopf zu Fantomas-Epigonen hochdekorierten – schlossen sich dem Phänomen an.
Das Ausmaß der Untaten war so groß, dass sie schließlich sogar den KGB beschäftigten. Was mag den Spionen da durch ihre Betonköpfe gegangen sein? Die französischen Kinoklamotten konnten solche Verbrechen unmöglich ausgelöst haben – das hätte ja für die zersetzenden Qualitäten des westlichen Propagandakinos gesprochen. War ihr Erfolg etwa nur das Äußere Anzeichen eines bestehenden Übels? Diese Erklärung dürfte den Herren noch weniger gefallen haben.
Die Filme wurden aus dem Verkehr gezogen.
Seit 2009 ist Frankreich wieder Vollmitglied der NATO.
Es war den Versuch wert.

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