O holde Kunst, du meine Trösterin

betr.: 80. Geburtstag von Michael Haneke

Ich habe das Glück, dass die meisten Künstler, deren Arbeit mich bereichert, mir auch persönlich zusagen, wenn ich später in den Genuss ihrer Statements und persönlichen Standpunkte komme (ausgenommen vielleicht die Schauspieler, bei denen die Verhältnisse sehr unterschiedlich sind). Nachdem ich von seinen Filmen fasziniert war, wollte ich sehr bald auch alles lesen oder hören, was Michael Haneke in Interviews gesagt hat, denn immer wieder bringt er etwas auf den Punkt, was ich noch im Begriff war zu sortieren. 
Dass ich – ungeachtet meiner Kindheit als Sohn einer katholischen Kirchenmusikerin – auf Religion, Ideologien und andere Arten geistig-moralischer Clubmitgliedschaft nie so recht angesprungen bin, liegt zu einem großen Teil daran, dass ich meine Religion in der Kunst gefunden habe, vor allem in der Musik.
Michael Haneke (er wurde protestantisch erzogen) findet die hübscheren Bilder dafür und die tieferen Zusammenhänge: „Mich hat die Strenge dieser Religion fasziniert, die Selbstbeobachtung: Nicht Gott vergibt dir, sondern du musst es selbst tun. Auch das Elitäre am Protestantismus hat mich nicht kaltgelassen. (…) Religion funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Ihr globaler Erfolg beruht auf der Suggestion, sie könne Menschen, die an sie glauben, beschützen. Religion stellt eine Garantie für ihre Anhänger dar, wie bei der Pacal’schen Wette: Setze auf Gott, dann hast du etwas davon. So läuft es aber in der Kunst nicht. Sie verspricht nichts, keine Erlösung, nichts. Sie kann nur ein Angebot zur eigenen Öffnung machen. Schau her, du kannst dich darauf einlassen oder nicht. Am eindrucksvollsten ist es in der Musik. Sie ist Jubel über die Schöpfung und Klage zugleich. Die Trauer, die in der Musik liegt, hat einen Adel. Lassen Sie es mich so sagen: Mir ist die Kunst sympathischer, weil sie den Menschen in seiner Selbständigkeit höher schätzt. Die Religion tut so, als wüsste sie, wo es langgeht. Das gefällt mir nicht und hat mich lebensgeschichtlich von ihr entfernt.

Aus dem Buch „Nahaufnahme Michael Haneke“, Alexander Verlag Berlin 2008

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