Eine Wagenladung Abschied

betr.: die Radiomoderatoren Matthias Keller (BR-Klassik) und Jürgen Liebing (Deutschlandfunk Kultur) gehen in den Ruhestand

Vor vielen Jahren hatte ich das Vergnügen, eine Filmmusik-Reihe auf dem NDR gestalten zu dürfen. Als der Tag der letzten Ausgabe gekommen war, war mein Redakteur unerbittlich: ich durfte meine Dernière bekanntgeben und mich von meinen Hörern verabschieden, aber mehr nicht. Das fand ich damals etwas kleinlich. Spät ereilt mich die Einsicht: nach dem Radioprogramm vom Sonntag bin ich anderer Meinung – die beiden Herren, die sich da zurückgezogen haben, waren natürlich deutlich länger am Werk als ich.

Matthias Keller feiert vor … (Bild: BR)

Solche Rückzüge tun mir immer ein bisschen weh. Auch wenn ich einer scheidenden Radiostimme ambivalent gegenüberstand, geht doch jedesmal ein klein wenig von der alten Tugend flöten, die das öffentlich-rechtliche Radio noch immer auszeichnet.
Um Jürgen Liebing, der auf dem tiefnächtlichen Sendeplatz „Chansons und Balladen“ alle vier Wochen auf Sendung war, tut es mir auch deshalb leid, weil er den Begriff „Chanson“ in der rotierenden Moderatorenrunde ganz besonders ernst genommen hat – wenn mir auch seine Auswahl stets zu einseitig war (er spielte vor allem Musik aus der zweiten deutschen Chanson-Blütezeit der 70er Jahre und streute hie und da etwas Französisches ein). Die übrigen für mich noch empfangbaren einschlägigen Formate kümmern sich entweder nur um die aktuelle deutsche Szene oder spielen schlichtweg angelsächsischen Pop (also „… und Balladen“).
Liebing erleichterte mir seinen Abgang, durch die selbst für seine Verhältnisse überbrodelnde Rührseligkeit. Dabei störte mich weder das Thema seiner Musikauswahl („Abschied“) noch die gelegentlichen „persönlichen Anmerkungen“, sondern dass er zwei Stunden lang von nichts anderem redete als dass nun sein letztes Radiostündlein geschlagen habe. (Mir fiel bei dieser Gelegenheit auf, dass er all die Jahre immer so geklungen hat …) Wie reich uns seine Nachfolge mit dieser Musikfarbe versorgen wird hat, wird sich zeigen.  

Wie und mit wem es nach dem Ausscheiden von Matthias Keller weitergehen wird, wissen wir. Der Mitbegründer der Filmmusiksendung “BR-Klassik Cinema – Kino für die Ohren“ nannte seine Ausgabe am Sonntagabend gleich „Kellers letzte Sendung“ und prahlte diesmal ganz offen mit dem, was er sonst nur nebenbei überdeutlich einstreut: mit der innigen persönlichen Nähe, die er zu den Komponisten der Filmkunst gepflegt hat. Wenn man ihm eine Weile zuhörte, konnte man den Eindruck haben, er sei der Guru der gesamten Branche. Das finde ich schon deshalb so unbehaglich, weil in dieser Sendung (die keine ausschließlich aktuelle Ausrichtung hat) generell so getan wird, als sei Zeitgenossenschaft ein Qualitätskriterium. Gut ein Drittel der gespielten Musik entfällt ohnehin auf das Haupt- und Spätwerk von John Williams und den erst kürzlich verstorbenen Ennio Morricone.
Anstatt seine liebevoll geförderten Nachfolger einfach in die Sendung einzuladen, tat Keller so, als wären sie spontan hereingeplatzt, um ihn nochmal ordentlich hochleben zu lassen. Bei diesem Geplauder hörte ich zum ersten mal die natürlichen Stimmen von Ben Alber und Antonia Goldhammer, die sonst vom Blatt moderieren und dann ein einstudiertes Johanniskraut-Tremolo zur Schau stellen, das unentwegt nach Reklame klingt. Die noch am wenigsten Glücksbärchi-hafte Stimme dieses Trios ist nun verstummt.

Nachtrag:
Die nächste Sendung eröffnete Frau Goldhammer mit den Worten: „Es ist die Cinema-Sendung Nr. 1 in der Zeitrechnung nach Matthias Keller!“. Man wolle sich aber seiner auch weiterhin würdig erweisen …

Nachtrag 2:
Eine Woche später ist Herr Alber wieder dran. Er beschreibt in einer Moderation „düstere Hornklänge, etwas im Klang heruntergedimmt, damit sie dunkler klingen!“ – Nanana! Das ist definitiv nicht der Sound von Matthias Keller, sondern der eigentlich unnachahmliche Stil von Vincent Neumann, dem Chef-Filmmusik-Beauftragten von Deutschlandfunk Kultur.

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