Die schönsten Hörspiele, die ich kenne (21): „Corpus Delicti“

Dieses Familiendrama von Charles Maitre entstand 1970 beim BR. Credits, Hintergründe und komplette Präsentation unter https://www.bremenzwei.de/audios/hoerspiel-kein-mucks-226.html

„Warum haben Sie keine Meldung gemacht?“ – „Vielleicht aus Angst, man könnte sie wiederfinden. Seit drei Tagen herrscht eine wunderbare Ruhe hier im Hause. Das Verschwinden meiner Frau bereitet mir einiges Vergnügen. Wieso sollte ich so tun, als ob ich zutiefst verzweifelt wäre? Schreiben Sie Ihren Bericht, und machen Sie sich um mich keine Sorgen! Ich bin mit meinem Gewissen im Reinen!“

Marthe Moureau ist verschwunden. Als Oberhaupt einer kleinstädtischen Familie war sie unbeliebt, denn sie regierte mit starker Hand, auch wenn sie und ihr Mann Eduard ihrer Verwandtschaft aus einigen Nöten heraushalfen. Eduard ist der Erste, der zugibt, dass ihn die mysteriöse Abwesenheit seiner Frau aufrichtig freut. Er bleibt auch dann noch dabei, als die Polizei zu ermitteln beginnt …

Alte Krimi-Hörspiele sind ein zweischneidiges Vergnügen. Ihre szenische Atmosphäre ist unter den heutigen Produktionsbedingen nicht mehr herstellbar (nur ganz wenige der alten Ateliers sind noch in Betrieb). Doch die unfreiwillige Komik, die sich aus den putzigen Umständlichkeiten der Nachkriegszeit (von der Sorte: „Jim ist der Kosename von James.“), einer arg konstruierten Handlung ohne jede Logik (siehe Francis Durbridge) und einer betulichen Auffassung von weltläufiger Lebensart und Polizeiarbeit ergibt, steht der angestrebten Spannung oftmals im Wege.
Das Kammerspiel „Corpus Delicti“ weist keinen einzigen dieser Mängel auf. Das Buch ist bei aller Deftigkeit menschlich einleuchtender als uns lieb ist, die Dialoge sind frei von den zeittypischen Klischees und Verkrampfungen. Außerdem haben wir es hier mit dem seltenen Fall eines perfekten Verbrechens zu tun. Dass ausgerechnet Rene Deltgen die männliche Hauptrolle spricht, der sich als onkelhafter Star der „Paul Temple“-Reihe unter Tonnen von Krimi-Trash beerdigt hat, gibt diesem Glücksfall eine besondere Ironie.

Vor wenigen Jahren hat mit dem Podcast „Kein Mucks!“ endlich eine gründliche Zugänglichmachung historischer Hörspiele eingesetzt. Nur zwei Dinge sind daran zu kritisieren. Bedauerlich ist, dass sich bislang nur um Krimis gekümmert wird – immerhin lässt der Erfolg der Reihe auf eine entsprechende Ausweitung der Bemühungen hoffen. Ärgerlich ist, dass in der gut recherchierten Moderation des Podcasts immer wieder von „verschollenen“ Hörspielen die Rede ist. Lasst uns bei der Wahrheit bleiben, Freunde: die betreffenden Bänder gingen nicht versehentlich verloren, sie wurden mutwillig gelöscht, weil es den Verantwortlichen an historischem Bewusstsein mangelte. Wer das aus unerfindlichen Gründen nicht zugeben will, der sollte es lieber unerwähnt lassen.
Wir leben in einer Epoche, in der analoge Archivbestände in nie dagewesener Weise vernichtet werden, um sie nicht aufwändig digitalisieren zu müssen.
Beliebte Podcasts wie „Kein Mucks!“ können dazu beitragen, dass dieses grauenvolle Treiben zumindest vor den Schatzkammern des Rundfunks Halt macht … einstweilen. 

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