Der Mann fürs Finale

betr.: 77. Todestag von Rondo Hatton / 54. Todestag von Boris Karloff (übermorgen)

Der attraktive Sportjournalist Rondo Hatton kam durch ein gesundheitliches Problem zum Film: er litt an Acromegalie, einer Krankheit, die zur entfesselten Produktion von Wachstumshormonen führt. Lange bevor die inneren Organe des Schauspielers einander gegenseitig verdrängten und zerdrückten, mutierte sein schmales Gesicht zu einer derart markanten Visage, wurde sein Körper so grotesk, dass er in zahllosen Filmen des Thriller-, Horror-, Fantasy-Abenteuer- und Science-Fiction-Genres eingesetzt wurde. Wie sich das gehört, nahm die Universal Hatton unter Vertrag (das Studio, das die erste Horrorfilm-Ära der Filmgeschichte maßgeblich befeuert hatte) und vermarktete ihn als „Monster Without Makeup“. Seine Rollen waren oftmals so winzig, dass er nicht mal im Vorspann auftauchte, konnten aber jederzeit variieren, wenn das Drehbuch es erforderte.
Rondo Hatton erlag seinem Leiden Monate vor dem Start seines letzten Films „The Brute Man“. Es ist nicht ohne Ironie, dass der Horror als volkstümliches Filmgenre mit ihm starb.

A hard act to follow: um die legendären Verkleidungskünste seines Gegenspielers Sherlock Holmes nicht zu diskreditieren, tritt Rondo Hatton im Serienkrimi „The Pearl Of Death“ erst am Ende des dritten Akts auf. (Screenshot: Koch Media GmbH)

Es war die Zeit kurz nach Kriegsende. Die Überlebenden, die entstellt und versehrt von den Schlachtfeldern Europas zurückkehrten, machten den künstlichen Deformationsgrusel der Leinwand unpassend und überflüssig. Dieser Kulturwandel traf zwei der größten Legenden des Horrorfilms auf unterschiedliche Weise, zwei Männer, die häufig zusammen vor der Kamera gestanden haben: der klassische „Dracula“ Bela Lugosi und der erste und einzige unsterbliche Darsteller des Frankenstein-Monsters Boris Karloff. Während Karloffs Karriere bruchlos bis ans Ende seines Lebens weiterging (er starb mit 82 an einer Lungenentzündung, die er sich bei Dreharbeiten geholt hatte), versank Lugosi ab Mitte der 40er Jahre in einer demütigenden Abwärtsspirale aus Drogensucht, Selbstmitleid, Armut und erbärmlichen Projekten, die überdies durch Durststrecken voneinander getrennt waren. Zwar hat auch Karloff Trashfilme nicht gescheut, war aber nicht darauf festgelegt und arbeitete hauptsächlich zu seinem Vergnügen. Bis zuletzt war er hoch angesehen, spielte Theater und hatte auch überaus rühmliche Filmauftritte. Noch im hohen Alter verdiente er gut in der Fernsehwerbung und sprach in Trickfilmen.


Doch das unterschiedliche Geschick der beiden Kollegen war keine der grausamen Launen des Schicksals, die im Showbusiness obligatorisch sind. Für die meisten Filmfans und Historiker steht fest, dass Karloff einfach der bessere Schauspieler war. Seine Spielfreude, Professionalität und Kollegialität waren legendär, und während er nur einen S-Fehler hatte, bremste Lugosi seine Karriere schon dadurch aus, dass er sich lebenslang weigerte, sein schlechtes Englisch zu verbessern und seinen ungarischen Akzent loszuwerden. Außerdem hatte er seinen Hang zur Selbstparodie nicht unter Kontrolle. Das verankerte ihn fest in der Schublade der – veralteten – osteuropäischen Klischeefigur. Obwohl auch Karloff den Gruselfilm (und seine Ironisierung) weiter bediente, lehnte er es nach seinem dritten Einsatz ab, das Frankenstein-Monster nochmals zu spielen. Nicht aus Überdruss, eher aus Respekt; er sprach immer mit großer Zärtlichkeit von der Figur, die ihn berühmt und reich gemacht hatte.
Lugosis legitimer Nachfolger, der britische Kinovampir Christopher Lee, machte das Versprechen wahr, dass er sich und dem Publikum gegeben hatte: „Ich werde nicht ewig den Dracula spielen wie Lugosi als Morphiumsüchtiger enden, der sich in geschmacklosen Parodien verheizen lässt.“*

Als die alten Filmmonster sich also Mitte der 40er Jahre aus dem Kino verabschiedeten (um in der Popkultur ein ewiges und sehr geräumiges Spukschloss zu beziehen), gewann ein Werk sieben Oscars, das sich wie ein Abgesang auf die alten Zeiten deuten lässt. William Wylers bedächtiges Drama „Die besten Jahre unseres Lebens“ erzählt von drei Kriegsheimkehrern aus verschiedenen Generationen, verschiedenen Waffengattungen und sozialen Schichten, und keiner von ihnen ist unversehrt. Obwohl sie erkennen müssen, dass das Leben in der Heimat ohne sie weitergegangen ist, ist es ein optimistischer Film.

Der Horrorfilm sollte in den Jahren des Kalten Krieges als ein anderer wieder aufleben: an die Stelle der Sümpfe und modrigen Spukschlösser waren Aliens und ein entfesselter technischer Fortschritt getreten.** Hier findet sich auch ein vorerst letzter Gruß an Rondo Hatton. Eine der Hauptfiguren in „Tarantula“ (1955 eines der Hauptwerke der neuen Welle) ist ein Wissenschaftler, dessen Experimente ihn an einer galoppierenden Form von Acromegalie erkranken lassen. Er verformt sich in rasender Geschwindigkeit und wäre bald daran gestorben, hätte ihn nicht die titelgebende Riesenspinne unter den Trümmern seines Hauses zerquetscht.
Seither haben TV-Serien, Filme und Comics immer wieder bezug genommen auf „the now-legendary Rondo Hatton“. Auch die Game-Industrie wird sich seiner noch annehmen.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2019/01/09/ed-wood/
** Siehe https://blog.montyarnold.com/2015/10/14/miss-froy-und-das-paranoia-kino/

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