Der Drache im Morgenland

betr.: Stadtteilkunde St. Georg / Landeskunde China

Der Drache ist der König unter all den sagenhaften Schreckenstieren. Fast jedes Volk hat im Verlauf seiner Geschichte den Drachen wegen seiner Riesenkräfte und seines majestätischen Aussehens verehrt.
Seine Merkmale wandeln sich, wenn man von Osten nach Westen reist. Im Orient versinnbildlicht er die Mächte der Natur und insbesondere die des Wassers. Manchmal gilt er als tückisch, aber im Allgemeinen hielt man ihn dort für ein friedliches Geschöpf, während er im Westen als gefährliches Untier angesehen wurde.
Im großen chinesischen Lexikon „Pan Tsao Kang Mu“, das um 1600 geschrieben wurde, steht eine Menge über dieses Wesen.
Er ist, so wird darin gesagt, das größte Schuppentier, besitzt einen Kamelkopf, Stierohren, einen Schlangenhals, einen Froschbauch, Schuppen wie ein Karpfen, Krallen wie ein Adler und Pranken wie ein Tiger. Die Schuppen sind in neun Reihen zu jeweils neun Stück angeordnet (die 9 galt als Glückszahl), und seine Stimme klingt wie der Ton eines Gongs. Ums Maul wachsen dem Drachen Barthaare, unter dem Kinn trägt er eine Perle, und auf dem Kopf befindet sich der „Poh Shan“, ein langer Stachel.

Keanu Reeves in raffinierter Verkleidung beim Drachenfest.

In China gab es so unzählige Drachen. Sie hausten überall dort, wo es Wasser gab – in tiefen Seen, in breiten Flüssen und selbst in winzigen Regentropfen. Sie allein bestimmten das Wetter. Wenn es blitzte, so blinzelte ein Drache mit den Augen. Der Wind war Drachenatem. Und Meeresstürme entstanden, wenn ein Drache seine Krallen wetzte. Die Perle unter dem Kinn war das Sonnensymbol und zugleich die Quelle der Macht eines Drachen. Ohne sie war er völlig hilflos.
Bei chinesischen Festumzügen werden Papierdrachen durch die Straßen gezogen. Ein Mann mit einer großen roten oder weißen Kugel, die die Zauberperle darstellt, läuft dem Zug voraus. Der Drache versucht vergeblich, die Perle zu fassen.
Chinesische Drachen können sich nach Belieben unsichtbar machen. Im Frühling steigen sie zum Himmel empor, im Herbst gleiten sie hinunter in die Tiefe des Meeres.

In China gab es Drachen, die den Lauf der Welt lenkten. Der Himmelsdrache trug auf seinem Rücken die Paläste der Götter, die sonst auf die Städte der Menschen gestürzt wären und sie vernichtet hätten. Der Götterdrache hatte Macht über Regen und Wind, der Erddrache bestimmte den Lauf der Ströme und Flüsse. Und der der Unterweltdrache bewachte die Schätze, die den Menschen nicht zustanden.
Viel chinesisches Brauchtum geht auf den Glauben an diese Geschöpfe zurück. Bei Überschwemmungen werfen Chinesen Edelsteine ins Wasser und Papierstreifen, auf die Gebete geschrieben wurden. In Zeiten der Dürre fertigen sie Papierdrachen an, die sie durch die Straßen tragen. Der Umzug hält vor jedem Haus und wartet, bis jemand zur Tür herauskommt, um den Papierdrachen mit Wasser zu besprengen. Neben ihm läuft noch ein Wasserträger einher, der in gewissen Abständen Wasser verspritzt und ruft: „Nun kommt der Regen!“
Drachen verzehren mit besonderer Vorliebe Schwalben, die sie niemand anderem gönnen. Sie greifen daher jeden Menschen an, der Schwalben gegessen hat. Überquert ein solcher einen Wasserlauf, wird sich der darin hausende Drache auf ihn stürzen und ihn verschlingen.
Die Meeresdrachenkönige leben in prächtigen Palästen unter dem Meer. Jedes dieser Ungeheuer ist mindestens drei Meilen lang. Wenn sie sich im Schaf von einer Seite auf die andere wälzen, wanken die Berge und stürzen ins Meer. Aus ihrem weitgeöffneten Rachen ragen messerscharfe Zähne. Mit ihrem Feueratem vernichten sie die vorbeischwimmenden Fische. An der Meeresoberfläche verursachen sie Springfluten und Taifune. Erheben sie sich in die Lüfte, entstehen fürchterliche Stürme.

Wie sich zeigt, sind auch die verehrten Drachen des Morgenlandes recht bedrohliche Wesen, die die Lage der Menschen nicht immer verbessern!
Mythologen und Historiker haben lange gerätselt, warum sie in den Sagen der gesamten Welt vorkommen.* Das Rätsel blieb bestehen, bis die ersten Saurierskelette gefunden und als solche identifiziert wurden.

Die meisten dieser Informationen stammen aus dem Buch „A Dictionary Of Monsters And Mysterious Beasts“ von Carey Miller.
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* Es gibt eine ganze Reihe solcher Welträtsel: https://blog.montyarnold.com/2016/04/07/atlantis-nochmals-besucht/

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