Ein Augenblick der Wahrheit

betr.: Hörspiel „Der Mentor“ von Daniel Kehlmann

Die allgemeine Wertschätzung des Bestsellerautors Daniel Kehlmann teile ich nicht. Ich muss bei ihm immer an einen Vorbehalt denken, der einmal in einer Ausgabe des Reich-Ranicki’schen „Literarischen Quartettsformuliert wurde. Da wurde einem Buch der Vorwurf gemacht, es sei voll von „angelesenem Brasilien-Wissen“. Kehlmanns Arbeit wirkt auf mich immer so: fleißig recherchiert aber selbst unerlebt.
Als der ORF nun Kehlmann-Hörspielkomödie ausstrahlte, die im Literaturbetrieb angesiedelt ist, keimte in mir die Hoffnung, hier könnte der Autor mal aus der Fülle eigener Erfahrung geschöpft haben. Insgesamt hat „Der Mentor“ (noch einige Tage lang auf der Homepage des Senders nachzuhören) mich nicht überzeugt, aber es gibt eine Szene, die mich reinewegs begeisterte: Ein junger Autor will von seiner Frau getröstet werden, nachdem ein älterer Kollege seine Arbeit geschmäht hat. Es stellt sich heraus, dass die Gattin zu seiner Arbeit gar keine persönliche Meinung hat. Sie hat ihn immer nur routiniert und beiläufig gelobt. Das hat immer genügt und hätte dem Autor freilich schon früher auffallen können, aber erst jetzt ist die eigene Empfindlichkeit in der notwendigen Weise aufgeschreckt, das Ego ausreichend verwundet.
Ein zum Nägelkauen spannender Dialog!
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Inhalt: Im Rahmen des sogenannten „Mentor“-Projekts – von einer Stiftung bestens bezahlt – sollen der einst gefeierte Dramatiker Benjamin Rubin und der Nachwuchsautor Martin Wegner eine Woche lang an Wegners neuem Stück arbeiten. Rubin, seine Allüren pflegend und wenig umgänglich, missbehagt die „Literaturförderung“, er kann jedoch das Honorar mehr als gebrauchen. Auch Wegner verspricht sich vom Zutun des „Altmeisters“ nicht allzu viel, bestenfalls Protektion. Dafür ist seine Frau Gina umso eher bereit, dem „großen alten Mann“ die Bewunderung zu zollen, der er offensichtlich dringend bedarf. Dass er am Stück ihres Mannes kein gutes Haar lässt, bringt sie in eine Zwickmühle. Martin verlangt den Offenbarungseid: ob sie an ihn als Schriftsteller glaubt oder nicht. Und dann reist er auch noch ab, gekränkt, wie er ist. Rubin könnte triumphieren, hätten die Peinlichkeiten in dieser Komödie nicht einen sehr ernsten Grund: die existentielle Abhängigkeit davon, anerkannt, nein: geliebt zu werden. (ORF-Infotext)

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