Zwei interessante Umsetzungen einer schauerromantischen Vorlage von Dorothy L. Sayers
Etwas scharrte und winselte zwischen den Polstern. Wetherall verbeugte sich mit übertrieben höflicher Miene und stellte das Etwas auf die Beine. Und dann trat es Langley im Lampenlicht gegenüber. Es trug ein kostbares Kleid aus goldener Seide und Spitze, das zerknüllt und faltig um den dicken, schlaffen Körper hing. Das Gesicht war weiß und gedunsen, der Blick leer, der Mund stand töricht offen, kleine Speicheltropfen rannen aus den Winkeln herab, eine trockene rostfarbene Strähne klebte auf dem kahlen Schädel wie die toten Haarbüschel auf dem Kopf einer Mumie.
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Das Wesen trug einen eleganten Hausmantel aus Goldlamé und Spitze, der schief und verdrückt um den gedunsenen Körper hing, dazu das schwammige, fahle Gesicht, blicklose Augen, der halboffene Mund, aus dessen Winkeln der Speichel rinnt, ein glanzloser Kranz rostfarbenen Haars wie die erstorbenen Locken am Kopf einer Mumie.
Der Ethnologe Charles Langley trifft nach längerer Zeit in einem Dorf in den baskischen Pyrenäen seinen alten Freund Dr. Wetherall und dessen Frau Alice wieder. Lady Alice, der er sehr freundschaftlich verbunden ist, ist nicht wiederzuerkennen: sie ist buchstäblich zum Kretin herabgesunken, ein körperliches und geistiges Wrack. Wetherall präsentiert ihren bedauerlichen Zustand mit triumphalem Unterton und genießt Langleys Entsetzen. Der hegt einen schrecklichen Verdacht, dessen Aufdeckung jedoch am Aberglauben der Einheimischen zu scheitern droht. Glücklicherweise bringt der Zufall Langley mit Lord Peter Wimsey zusammen, der sich spontan für den Fall interessiert und ihm viel Zeit widmen wird …
Mehr noch als im Film führt das Genre Horror im Hörspiel auf direktem Wege in die Trash- und Halbstarkenabteilung. Sieht man einmal von den Bearbeitungen weniger Klassiker ab – also von „Frankenstein“ und einigen wenigen Poe-Beispielen, das war’s eigentlich – sinkt die künstlerische Ambition in diesem Segment gegen null. Selbst „Dracula“-Hörspiele sind zumeist Albernheiten „für Fans“, von Lovecraft, wiederum Poe und von all den kleineren Monsterkalibern gar nicht zu reden.
Auch das vorliegende Hörspiel, die große Ausnahme von dieser Regel, hat seine Tücken. Zunächst einmal wird die Autorin der Buchreihe um „Lord Peter Wimsey“ dem Krimi zugerechnet, eine nach allgemeiner Auffassung minderwertige Literaturform. Meine Generation, die mit der muffigen „Wimsey“-Fernsehserie aufgewachsen ist, in der Ian Carmichael mit feistem Blick und angezogener Handbremse den Helden spielte, wird dieser Autorin außerdem unbesehen keinerlei Esprit unterstellen.
Alles Unsinn!
Denn Dorothy L. Sayers ist nicht nur eine blitzgescheite Stilistin, ihre Plots sind so einfallsreich, dass Sätze wie „Wo waren Sie gestern abend?“, “Haben Sie ein Alibi?“ oder „Aber was ist das Motiv?“ darin gar nicht vorkommen können. Es handelt sich – ähnlich wie bei Håkan Nessers besten Frühwerken – eher um Sozialstudien, in denen am Rande ein Mord geschieht, um das Buch fürs umsatzträchtige Krimi-Regal zu qualifizieren.
In „Die Geheimnisvolle Entführung“ (der Alternativtitel trifft es besser: „Macht der Finsternis“) gibt es gar keinen Mord. Der ermittelnde Protagonist tritt spät und auf und bleibt so lange in der Deckung seiner aufwändigen Verkleidung, dass er zur Nebenfigur wird. Auch einen Showdown gibt es nicht. Die Rettung des Opfers steht im Vordergrund, und davon abgesehen wird der Schurke nicht einmal bestraft. Doch diese „Geheimnisvolle Entführung“ ist nicht nur gruselig, sie ist geradezu grauenvoll.
Die BR-Hörspielfassung von 1974 „Macht der Finsternis“ ist etwas aufwändiger produziert als „Die Geheimnisvolle Entführung“ (4. Episode einer achtteiligen Lord-Peter-Reihe), 2002 von mdr, SWR, SfB und ORB koproduziert. Diese verlässt sich ganz auf die Fabulierlust von Dorothy L. Sayers. In beiden Versionen spielt Felix von Manteuffel die Rolle des Charles Langley.