Unverdrossener Jubel den vergessenen Anarchos

Im abgelegenen Hinterzimmer seines Kulturteils (letzte Station vor Impressum und Todesanzeigen) huldigt der „Spiegel“ diesmal der Serie „Rick and Morty“, die ihr Publikum stets „verstört und aufgekratzt zugleich“ hinterlasse. „Der moralische Kompass spielt verrückt, aber irre komisch war’s“ mal wieder. „Der Erfolg ist ein Phänomen, denn ‚Rick and Morty‘ ist alles andere als gefällig. Ästhetisch, moralisch und erzählerisch zielt die Serie auf eine Überforderung des Publikums. Wir sehen sozusagen auf vier Bildschirmen eine Kreuzung aus ‚Die Simpsons‘ mit ‚Futurama‘ sowie eine Überblendung von ‚Zurück in die Zukunft‘ mit ‚Dr. Who‘, während gleichzeitig auf voller Lautstärke ein Hörspiel von ‚Per Anhalter durch die Galaxis‘ läuft, an dem offenbar H. P. Lovecraft, Jean-Paul Sartre und der Psychotherapeut von Elon Musk mitgeschrieben haben.“
Diese Umschreibung ließ mich gleich an eine mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegende Cartoonserie denken, die ihr noch weitaus gerechter wird: „Cow And Chicken“ (der ST. GEORGE HERALD berichtete mehrfach).
Na gut – ein bisschen weniger homogen müsste eine Hymne auf eine so welthaltige Groteske wie „Cow And Chicken“ schon sein, gehen doch viele der bemühten Referenzwerke in die SF- bzw. SF parodierende Richtung. Und gern dürfte sie etwas weniger verschämt sein (Warum sollte hier irgendwer psychotherapiert werden?), etwas anarchischer (die beiden Matt-Groening-Serien sind ja längst Mainstream) und semantisch sorgfältiger (Elon Musk hat einen Psychotherapeuten? … Das muss ja eine entsetzliche Pflaume sein …). Einziger Fremdkörper in dieser Assoziations-Sause ist Jean-Paul Sartre (der „Intellektuelle“, der Andreas Baader erst im Knast besuchen musste, um herauszufinden, dass es sich dabei um ein „Arschloch“ handelt).

Nichts für ungut – „Cow And Chicken“ war im Gegensatz zu „Rick And Morty“ ja eben kein Erfolg. Das ist vielleicht ganz gut so. Der Artikel zitiert Dan Harmon, einen der „Rick And Morty“-Schöpfer: „Ich wünschte, nur Heilige und coole Rennfahrer unsere Show mögen, aber dann würden wir kein Geld verdienen“ und führt weiter aus, tatsächlich sei „ein Teil der ergebensten Verehrer der Serie berüchtigt für Übergriffigkeiten. Weibliche Mitglieder des Autorenteams wurden im Internet bereits Ziel ihrer Attacken. Harmon sagte über solche fanatischen Anhänger, sie stünden ‚für irgendeinen Scheiß, den ich vielleicht mit 15 geglaubt habe‘.“

Einige der Wenigen wiederum, die „Cow And Chicken“ seinerzeit geliebt haben, verglichen die Serie etwas hilflos mit „Ren And Stimpy“ oder „Rockos modernes Leben“ (zwei ebenfalls tief versunkene, letztlich brave Pseudo-Anarcho-Cartoons der 90er Jahre), wenn sie anderen davon berichten wollten – und gaben den Versuch rasch auf, das Unbeschreibliche beschreiben zu wollen.
Eventuell habe ich mich zu leicht zu meinem Gedankensprung von der berühmten zur obskuren Serie hinreißen lassen. Möglicherweise hat das Publikum von „Rick And Morty“ ja gar keinen so großen Anlass, überfordert und verstört zu sein, wie es der Artikel freundlicherweise annimmt, sondern eher das Bedürfnis, sich lediglich so zu fühlen, als sei es irgendwann bereit dazu – nachdem es all die Schminktipps, Katzenvideos und sonstigen Zwinkersmiley-Events auf dem Smartphone durchgearbeitet hat, die den seinen medialen Alltag längst klammheimlich unterwandert haben. Wer auf so etwas wie die umschriebene Herausforderung tatsächlich wert legt, weiß ja jetzt, wo er sie finden kann. (Die Synchronfassung „Muh-Kuh und Chickie“ ist übrigens keine Option!)

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