Children Of The Damned

Der Toilettenbesuch am Morgen ist die einzige Zeit des Tages, da ich rituell auf Facebook vorbeischaue – in erster Linie, um mich an Gratulationsanlässe erinnern zu lassen oder meinen Sprecherkollegen zuzusehen, wie sie sich beim Grinsen selber abfilmen.
Wenn die Zeit noch reicht – ich verlängere meine Sitzungen niemals aus inhaltlichen Gründen -, sehe ich mir eine der hochformatigen „Reels“ in der oberen Zeile an, in denen Facebook (der Teufel weiß, warum) mir am liebsten hübsche bzw. muskulöse Männer präsentiert.
Heute erblickte ich ein fast unbekleidetes Früchtchen, das sich vor dem Spiegel stehend selber filmt und behauptet, „so etwas noch nie gemacht zu haben“ (der kleine Schlingel). Es fragt uns, ob man „so“ feiern gehen könne. Es ist eine rhetorische Frage.
Das Filmchen hat noch einen Bonus-Track. Der selbe Junge spricht nun in Großaufnahme in die Kamera, um sich zuerst mal selber zu loben („Mein Clip ist viral gegangen … 1,5 Millionen Klicks …) und sich dann bitter zu beklagen. Hauptsächlich sei ihm homophober Hass entgegengeschlagen. Er wiederholt das Kernwort seiner Kritik mehrmals: „Hass! Hass! Hass!“ sein Kindergesicht ist dabei aufs Wüste verzerrt, als es uns dazu aufruft, diesen Hass nun – an seiner Seite – zu erwidern. In noch mehr Posts …
Das alles wirkt routiniert, geradezu professionell. Hier hat sich jemand auf dem Weg ins lange Wochenende seine Bestimmung gesucht.

Als ich selbst in diesem Alter war – ohne jemals annähernd so appetitlich auszusehen – war ich keinen Deut schlauer. Reifer bin ich (ja nachdem) bis heute nicht. Aber hätte ich mich so frühzeitig bewusst dagegen entschieden, Spaß zu haben? Und das nur, um mich in dieser Weise zu produzieren? Ich weiß es nicht.
Ich hoffe nicht.

Zu meiner Zeit hätte man sehr reiche Eltern haben oder früh berühmt werden müssen, um sich in solche Lage zu bringen. Wer aus dieser Irrsinnsspirale wieder raus möchte, muss sich sehr mutig in die Büsche schlagen – das ist viel verlangt, egal welches Alter man erreicht hat.
Der Junge in dem Filmchen ist in eine Richtung unterwegs, die keine befestigte Abzweigung hat. Ihm ist nicht zu helfen. er wird seinem Schicksal nicht entgehen.

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