The Age Of Everything All At Once

Alan Bennett hatte vor einigen Jahren großen Erfolg mit einem kleinen, sehr amüsanten Buch. Dass dieser überschaubare Zeitraum uns heute so gedehnt erscheint, hat teilweise mit der Heldin zu tun – der damals schier unsterblichen Queen Elizabeth II. -, teilweise mit höherer Gewalt (mit der Corona-Pandemie, die unser Zeitgefühl zerbröselt hat) und schließlich mit dem legendären britischen Humor, dem das Werk zuzurechnen ist. Dieser hat nämlich ordentlich Federn gelassen, seit die Bürger Großbritanniens dem Rest der Welt bewiesen haben, dass Monty Python und Co. mit ihren Bosheiten nicht etwa übertrieben, sondern ihre Landsleute ganz im Gegenteil sogar noch verharmlost haben. Boris Johnson und der Brexit haben unser heißgeliebtes Wunderland des Witzes in Stücke gerissen.

Wer all das beseitewischen kann, dem vermag Bennetts „Die souveräne Leserin“ noch immer ein charmantes Lesevergnügen zu bereiten. Zumal die zu diesem Zeitpunkt bereits hochbetagte Regentin ganz volksnah als Nicht-Lerserin vorgeführt wird und sich ihren Buch-Titel erst verdienen muss.
Zu Beginn heißt es:

Sie hatte sich nie sehr fürs Lesen interessiert. Natürlich las sie, wie man das eben tat, aber Bücher gern lesen, das überließ sie anderen. Das war ein Hobby, und ihr Beruf brachte es mit sich, keine Hobbys zu haben. Jogging, Rosenzüchten, Schach oder Bergsteigen, Torten dekorieren, Modellflugzeuge. Nein. Hobbys bedeuteten Vorlieben, und Vorlieben mussten vermieden werden; sie schlossen bestimmte Menschen aus. Man hatte keine Vorlieben zu haben. Ihr Beruf verlangte, Interesse zu zeigen, aber keine Interessen zu haben. Und außerdem war Lesen nicht Tun. Sie war ein Mensch der Tat.

Ich muss bei dieser Textpassage an einen weitverbreiteten Menschentypus denken, den es schon immer gegeben hat. Früher traf man ihn in zwei Welten – auf der Mattscheibe und im realen Leben. Heute beherrscht er die Mischung aus beidem: die sozialen Netzwerke. Die Rede ist von den eiligen Universalgelehrten und -interessierten, bei denen das restlose Fehlen persönlicher Interessen (Essen, Schlafen, Sex sind nichts dergleichen, sondern archaische Grundbedürfnisse) so offensichtlich ist, dass ihre Einlassungen mich sogleich ermüden oder gar abschrecken. Alfred Biolek war in diesem Zusammenhang ein verblüffender Sonderfall.* Einer der freundlicheren Redakteure, mit denen ich in meiner Laufbahn das Vergnügen hatte, war auch so gestrickt.
Bennetts Erzählung ist geeignet, etwas Optimismus zu verströmen. Die Queen gibt sich wenigstens Mühe, ihr Manko aufzuarbeiten. Und sie kommt zuletzt zu einem verblüffenden Ergebnis.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2021/07/23/alfred-biolek/

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